Kohayagawa-ke no aki |
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1080 Bruxelles |
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Jean Cocteau: Selbstportrait eines Unbekannten | ||
A selection of some of my favorite films, plus my own four films, to be shown at my favorite movie theatre on the planet --- so I construed the invitation from my friend Alf Bold to do a stint of programming at the Arsenal sometime during my four months in Berlin this year. The films themselves would be reason enough, pleasure enough, I thought. No unifying theme or some theory about cinema which I would be illustrating by these choices was needed.
But now that the program has been set, it occurs to me that there is justification for such a venture beyond the sheer pleasure (though pleasure is surely reason enough) of seeing these films again and sharing them with others. It does illustrate a theory, the only theory I do have about film---which is a theory about movie-going. My idea is that without a continuing and recurrent exposure to the most intelligent, the most moving, the most spiritually ambitious, and the most eccentric work that has been done on celluloid, the real discoveries and achievements of this art are bound to be undervalued and underenjoyed, or seen as isolated gestures. Such dedicated movie-going (and programming) offers standards, it keeps one from reducing movies to one idea of cinema (say, a linear narrative), it allows one to enjoy works which are difficult and which violate expectations. At least, so it has been for me. There are certain films by Eisonstein, Stroheim, Ozu, Renoir, Bresson, Rossellini, Godard, Resnais, Pasolini, Tarkovsky, Zanussi, Fassbinder, Syberberg, Oshima, Imamura --- among others --- which form the meditative background for my looking at films, for my continuing to care about cinema and to expect something wonderful, something exalting or deepening, when I go to the movies.
What I am saying here applies to other arts, too --- particularly to I literature and to music. It seems less well understood as applying equally to the great new art of our century, whose unparalleled success as a form of entertainment has led many serious people to think of it as, normatively, entertainment. So that is what my choice of films means to suggest: the necessity of a meditative background, of a visceral familiarity with the immense range of what cinema can be. That is the point of this very personal selection, this private pantheon, made even more arbitrary by the limitations of programming time and unavailability of certain films I had hoped to include.
Long live the Arsenal! SUSAN SONTAG, 19 October 1990
Eine Auswahl einiger meiner liebsten Filme, dazu meine eigenen vier Filme, die in dem Kino gezeigt werden sollten, das mir auf dem ganzen Planeten das liebste ist - so verstand ich die Einladung meines Freundes Alf Bold, einen kleinen Programm-Auftrag im Arsenal irgendwann während meines viermonatigen Berlin-Aufenthalts in diesem Jahr zu übernehmen. Die Filme allein würden dafür Grund genug sein und Freude genug bereiten, so dachte ich. Kein einheitliches Thema oder keine Filmtheorie wären erforderlich, um diese Auswahl zu begründen.
Aber jetzt, da das Programm festliegt, wird mir klar, daß es eine Rechtfertigung für solch ein Unternehmen jenseits des bloßen Vergnügens gibt (obwohl das Vergnügen sicherlich schon Grund genug ist), diese Filme noch einmal zu sehen und das Erlebnis mit anderen zu teilen. Es veranschaulicht tatsächlich eine Theorie, die einzige Theorie über Film, die ich habe --- nämlich die Theorie über den Kinobesuch. Meine Idee ist die, daß ohne eine fortlaufende und immer wieder erneuerte Begegnung mit den bewegendsten, kühnsten und eigenwilligsten Werken, die auf Zelluloid gebracht wurden, die wirklichen Entdeckungen und Leistungen dieser Kunst zwangsläufig unterschätzt werden, zu wenig Gefallen finden oder nur als isolierte Versuche begriffen werden. In diesem Sinne entwickelt solch ein hingebungsvoller Kinobesuch (und eine dementsprechende Programmarbeit) Grundlagen und hindert einen daran, Filme auf eine einzige Idee des Kinos zu reduzieren (zum Beispiel die einer linearen Erzählung), ermöglicht auch, Gefallen an Filmen zu finden, die schwierig, sind und Erwartungen verletzen. So ist es zumindest für mich gewesen. Es gibt bestimmte Filme von Eisenstein, Stroheim, Ozu, Renoir, Bresson, Rossellini, Godard, Resnais, Pasolini, Tarkowskij, Zanussi, Fassbinder, Syberberg, Oshima, Imamura - neben anderen -, die den meditativen Hintergrund meiner Betrachtungsweise von Filmen, ausmachen, meiner fortdauernden Hinneigung zum Kino und meiner Hoffnung, etwas Wunderbares, Begeisterndes oder Tiefgehendes zu entdecken, wenn ich ins Kino gehe.
Was ich hier sage, gilt auch für andere Künste - insbesondere für die Literatur und für die Musik. Man scheint weniger gut zu verstehen, daß dieses Prinzip auch für die große neue Kunst unseres Jahrhunderts gilt, deren unvergleichlicher Erfolg als eine Form der bloßen Unterhaltung viele ernsthafte Leute dazu gebracht hat, sie in normativer Weise als bloße Unterhaltung zu verstehen. Deshalb möchte ich durch meine Auswahl von Filmen auch auf die Notwendigkeit eines meditativen Hintergrunds hinweisen, einer intimen Vortrautheit mit dem immensen Bereich dessen, was Kino sein kann. Das ist die Pointe dieser sehr persönlichen Auswahl, dieses privaten Pantheons, das noch willkürlicher ausfällt durch die Begrenzung der Programmzeit und die Unerreichbarkeit von Filmen, die ich gerne in meine Auswahl eingeschlossen hätte.
Lang lebe das Arsenal! SUSAN SONTAG, 19. Oktober 1990