Wenn man heute etwas zum Zustand unserer Welt sagen möchte und nicht den Wunsch hat, gleich mit Hohn und Spott übergossen zu werden, so muß man wohl oder übel einen plausiblen Ansatz zur Lösung der Einsteinschen Gravitationsgleichungen mitliefern.
Um einen solchen Ansatz vorzunehmen, benötigt man sieben Größen:
die drei Expansionsraten des Universums in jede Raumrichtung an einem Zeitpunkt,
dann die drei Änderungen dieser Expansionsraten und schließlich
eine Energieverteilung des gesamten Universums zum gleichen Zeitpunkt. All
diese Größen sind mehr oder weniger unbekannt, deshalb ist eine
allgemeine Lösung dieser Gleichungen im Moment unmöglich.
Andererseits könnte man die Expansionsraten und ihre Änderungen
auch auf anderem Wege erringen. Wäre man in der Lage, drei Zustände
des Universums in gemessen an seinem Alter kleinen zeitlichen Abständen
anzugeben, so könnte man aus den Differenzen der aufeinander folgenden
Zustände zwei Sätze von Expansionsraten herausfiltern, und aus
diesen wiederum einen Satz von Änderungen dieser Expansionsraten.
Ein solches Verfahren soll in diesem Film in symbolischer Form vollzogen werden, und zwar in Bezug auf den menschlichen Mikrokosmos innerhalb des Universums.
Um den Grundgleichungen formal zu genügen werden drei Zustände menschlicher Existenz vorgestellt und mit den Jahren 1973, 1978 und 1983 identifiziert werden. Der mit 1983 bezeichnete Zustand wird als erstes abgebildet und symbolisiert den kosmologischen Mythos der Wissenschaft, in dessen Schatten alle menschlichen Aktivitäten sich vollziehen. Es folgt der 1973-er Zustand, der die ödipalen Mythen symbolisieren soll, mit denen junge Männer aufwachsen und unter deren Flagge sie versuchen, sich einen Platz in dieser Welt zu erobern. Den Schluß bildet der Zustand, der mit "FÜNF JAHRE SPÄTER" bezeichnet wird und daher im Jahre 1978 anzusiedeln ist. Er soll den Zustand der äußeren Welt symbolisieren, der Welt, an der die Jungmännermythen schließlich zerschellen, obwohl sie doch die Spuren dieser Mythen so nachdrücklich trägt.
Der Film hofft, daß ein aufmerksamer Betrachter Beziehungen zwischen
diesen drei Zuständen zu erkennen vermag. Voraussetzung dafür
ist es, daß gewisse Muster der sich ändernden Welt so stark strukturiert
werden, daß sie eine eigene Gestalt erhalten. Diese kann man als Erinnerung
nach Hause nehmen und sich bei Gelegenheit wieder vergegenwärtigen.
Die drei Teile des Films, die im Script mit den Jahreszahlen 1983, 1973
und dem Titel FÜNF JAHRE SPÄTER gekennzeichnet werden, sind offensichtlich
sehr verschiedenartig. "1983" repräsentiert einen wissenschaftlichen
Text, "1973" ist eine Art erzählter Geschichte, und FÜNF
JAHRE SPÄTER wird durch nichts anderes beschrieben als eine Folge von
Sternen, die dafür steht, daß in diesem Teil eine auch nur rudimentär
verbale Form als Beschreibung des Films versagen muß. Im Folgenden
möchte ich auf die Gestaltungsprinzipien bei der Herstellung der verschiedenen
Teile im Einzelnen eingehen.
Allen gemein wird allerdings sein, daß jeder dieser Teile sozusagen
doppelsträngig arbeitet, das heißt, daß es in ihnen jeweils
zwei Darstellungsmodi geben wird, die dann im fertigen Film miteinander
verflochten werden. Der Grund dafür ist das Bedürfnis nach einer
festen Verankerung des dualistischen Prinzips im ganzen Film, denn dieses
dualistische Prinzip ist es ja, an dem wir unsere denkerischen Fähigkeiten
schulen und wiedererinnern, und ohne die Erweckung dieser, sagen wir ruhig
mal elementaren, geistigen Lebendigkeit wird es einem Zuschauer schwerfallen
sich produktiv mit der im Film angebotenen Dreizahl von Zuständen auseinanderzusetzen.
Abgesehen davon führt diese angekündigte Doppelsträngigkeit
auch zu einer erweiterten Komplexität und Reichhaltigkeit des angebotenen
Bildmaterials. Mehr davon bei der jetzt folgenden Beschreibung der einzelnen
Teile.
Wie aus der Vorbemerkung zum Script ersichtlich hat dieser erste Teil
im Rahmen des Films die Funktion, den Mythos der Naturwissenschaften zu
symbolisieren. Im Rahmen dieser Naturwissenschaften nimmt natürlich
die Kosmologie der Physik einen exponierten Platz ein, vergleichbar höchstens
mit den neueren Errungenschaften der Biochemie, deren mythisches Potential
in absehbarer Zeit das der Kosmologie sogar übertreffen könnte.
Aber wir schreiben das Jahr 1983.
Man wird bemerken, daß in dem vorliegenden Text der Zeitabschnitt
der Kosmologie, der vom Urknall bis zum Verlöschen der Sterne reicht,
nur sehr verkürzt dargestellt wird, daß speziell all die intrastellaren
Prozesse vor dem Gravitationskollaps wie Novas, Supernovas, Weiße
Zwerge, Neutronensterne, Pulsare und Schwarze Löcher, die inzwischen
in allen populärwissenschaftlichen Darstellungen der Kosmologie den
ersten Platz einnehmen, überhaupt nicht aufgeführt werden. Der
Grund dafür ist historischer Natur, waren doch all diese Phänomene
schon um 1973 bekannt. Um eine Lokalisierung dieses Filmteils im Jahre 1983
zu ermöglichen, habe ich mich deshalb auf die astrophysikalischen Erkenntnisse
konzentriert, die sich seither angehäuft haben. In diesem Zusammenhang
müssen vor allem zwei Quellen angegeben werden, auf die ich mich im
wesentlichen stützte:
"TIME WITHOUT END: Physics and Biology in an Open
Universe"
F.J.Dyson in "Reviews of Modern Physics"
Band 51, Heft 3, Seiten 447-460, Juli 1979
"EFFECTS OF PROTON DECAY ON THE COSMOLOGICAL FUTURE"
D.A.Dicus, J.R.Letaw, D.C.Teplitz, V.L.Teplitz in
"Astrophysical Journal"
Band 252, Heft 1, Seiten 1-9, Januar 1982
Im Film wird der Text durch eine Art wissenschaftlichen Sprecher vorgetragen,
dessen Ausführungen von Animationsteilen unterbrochen werden. In der
Animation wird sich die oben ausgeführte Doppelsträngigkeit realisieren:
einerseits wird es die konventionelle Zeichentrickanimation geben, andererseits
aber auch eine ballettartige, die von Personen im Stil neuerer Performanceaktivitäten
ausgeführt wird.
Diese performanceartigen Teile möchten eher komisch und überdreht
wirken, um die Autorität des Sprechers zu unterminieren und damit die
Autorität des wissenschaftlichen Dokumentarfilms selbst. Außerdem
soll von den Personen einiges in die vorgestellten naturwissenschaftlichen
Modelle hineinstrahlen und deren anthropozentristische Vorurteile zumindest
zu einem Glimmen reizen, denn so objektiv die Naturwissenschaften sich auch
gebärden, auf Gebieten, in denen Messungen kaum möglich sind,
begegnen wir hochgradig Spekulationen, deren allzumenschliche Struktur und
Motivation sich schwer verbergen lassen.
Im Rahmen des Films soll dieser Teil als eine Art größenwahnsinnigen
Prologs figurieren. Ich verspreche mir einiges von dem Aufeinanderprallen
dieses Prologs mit dem darauffolgenden, gemessen an der kosmologischen Weite
des Vorhergehenden geradezu kleinkarierten Teils, in dem ja nicht mehr erzählt
wird, als die unbedeutende Geschichte eines jungen und naiven Trottels,
dessen einzige Qualität zunächst wohl darin bestehen wird, daß
auch er und seine Träume Molekülsubstanz in den Mühlen des
umfassenden Universums repräsentieren.
Beim zweiten Teil des Films handelt es sich um eine mehr oder weniger direkte Verfilmung der im Text enthaltenen Geschichte. Der Text wird als off-Kommentar die Bilder begleiten. Ich möchte versuchen, bei der Verfilmung sozusagen "wortgetreu" zu arbeiten, was heißen soll, daß möglichst viel vom Spielerischen der Wortnuancierungen Bildäquivalente findet. Dies ist normalerweise bei Verfilmungen von Literatur nicht möglich, denn weil Filme nun einmal die übliche Spielfilmlänge haben und dabei in ihrer szenischen Zerlegung redundante Übergeschwätzigkeit beweisen müssen, um als Spielfilme erkannt zu werden, ist es nötig, die Texte soweit zu kürzen, daß kaum noch etwas vom Ursprünglichen übrigbleibt, und das ist dann das sogenannte "Wesentliche", bei dessen Sichtung den meisten Autoren die Spucke wegbleibt. Bei dem hier vorliegenden Text ist die Situation gerade umgekehrt, er ist so kurz, daß ihn eine Kürzung zum Verschwinden bringt. Da als Länge dieses Teils etwa fünfzig Minuten anvisiert werden, bietet sich vielen Sätzen ein ungeheurer Entfaltungsspielraum, in dem assoziatives und anderes Terrain erkundet werden kann.
Hieraus ergibt sich auch Platz für die Doppelsträngigkeit,
die, wie erwähnt, den ganzen Film durchziehen soll. Einer dieser Stränge
wird durchaus versuchen, die mythische Kraft der Jungmännerträume,
die den Ablauf dieser Geschichte bestimmen, in Bildern zu rekonstruieren.
Solche Bilder müßten von einer Ästhetik geprägt werden,
die man vielleicht als "existentiell-romantisch" bezeichnen könnte.
Darunter verstehe ich Einstellungen, in denen durch die Cadrage die Spuren
alltäglicher Trivialität so stark getilgt werden, daß der
Berherbergung jener mysteriösen mythischen Qualität nichts mehr
im Wege steht. Nehmen wir mal als einfaches Beispiel ein Bild, das einen
Mann von hinten zeigt, der auf den Gipfel eines Berges blickt. Es ist möglich,
dieses Bild so zu cadrieren, daß die mythische Beziehung zwischen
Mann und Berg mit all ihren sexuellen Obertönen als Konzentrat erscheint.
Andererseits ist es ebenso möglich, daß dieser potentiell mythische
Wert der Mann-Berg-Beziehung sich im Unscheinbaren verflüchtigt, indem
man etwa die Einstellung etwas totaler macht, so daß, sagen wir, eine
Berghütte erscheint, vor dem sich ein Liebespaar küßt, während
ein Krankenwagen mit Polizeisirene durchs Bild heult.
Mit dieser Art von Ästhetik muß zunächst das erste ödipale
Dreieck der Erzählung herausgearbeitet werden, dessen Statik und Geschichte
sich im Anfangskapitel entfaltet. Dieses Kapitel ist im Gegensatz zu den
folgenden in der Vergangenheitsform geschrieben und definiert die Grundkonstellation
des Jungmännermythos irgendwo zwischen der Alten Welt Joseph Conrads
in Marseille ("THE ARROW OF GOLD") und dem für unsere Augen
so flachen Erscheinungsbild von Las Vegas mit dem dazugehörenden Abflußventil
Acapulco, dem Tor zu den Träumen der Südsee, die von Marseille
aus längst nicht mehr zugänglich sind. Als Operanden der Konstruktion
figurieren SUCHE, BEGEGNUNG und GELEGENHEIT.
Im Spannungsfeld zwischen HOCHZEIT, ANGST und DIESELMOTOREN kommt es nun zur ADOPTION und dann wird es MORGEN, dann MITTAG und dann schließlich NACHT, und im Licht eines neuen Tages verpufft die Großartigkeit eines weltumspannenden romantischen Abenteuers zur plattfüßigen Rekonstruktion der ödipalen Grunderfahrung.
WIE HATTE ES SOWEIT KOMMEN KÖNNEN, fragt sich da unser Held zurecht, und in der Art junger Männer, die glauben beweisen zu müssen, daß sie keine Babies mehr sind, leitet er mit Vatermord und Mutterbegattung den dynamischen Teil der Erzählung ein. Dieser ist im Gegensatz zum Eingangkapitel in der Gegenwartsform geschrieben und entfaltet sich in der Zeit linear. Das verlangt auch im Film einen anderen Erzählstil, denn die komplexen zeitlichen Verschachtelungen des Anfangs und die erforderliche Abstraktheit bei der Herausarbeitung der ödipalen Konstruktion erzeugen eine hochgradig differenzierte Filmsyntax, die durch die gleichzeitige Anwesenheit eines zweiten Erzählstrangs, auf den wir später kommen werden, noch weiter kompliziert wird.
Nun aber, nach dieser Exposition, kann einfach und linear gearbeitet werden. Zunächst wird noch einmal die Situation rekapituliert, weil das Wesentliche womöglich im Netz der vorherigen Komplexität hängengeblieben ist, dann findet zügig ihre zielstrebige Auflösung statt.
Die nächsten Kapitel berichten von der Existenz junger Männer nach der traumatischen Befreiung. Das erste Geld will verdient werden und schließlich muß man ja auch erst mal lernen, wie man allein in einem Zimmer mit sich auskommen kann. Allmählich lernt Robert zu leben. Sollte das alles gewesen sein?
Bevor das Rührende dieser Frage unseren jungen Mann zerschmettern kann, bemerkt er, daß diese Welt auch von anderen bewohnt wird, von Fremden, denen seine eigene Tragik und Zufriedenheit absolut gleichgültig ist, denn sie haben ihre eigenen Probleme, Ernährungsprobleme.
An diesem Punkt wird der Film wieder etwas komplizierter, gilt es doch nun, das ödipale Schlußdreieck aufzubauen, in dem nicht mehr ältere Männer Spender von älteren Frauen sind, sondern der Staat und seine Gesellschaftsordnung Spender von gleichaltrigen oder jüngeren Frauen. Robert hat Angst vor dieser Ordnung, als sensibler junger Mensch des Jahres 1973 wehrt er sich gegen eine Gesellschaft, deren Grundprinzip Kannibalismus ist, deren Gruppendynamik sich in der Entscheidung konzentriert, ob das einzelne Glied fressen darf oder gefressen wird, und darauf, meint Robert, läuft es hinaus, das ist die Struktur, die unsere Gesellschaft bestimmt, und so sucht er noch einmal die mütterliche Wärme. Umsonst. Mama ist fort. Mama ist weg. Oh Mamma.
Zögernd läßt er sich integrieren, die Gesellschaft ist
zwar unheimlich, doch erstaunlicherweise nicht unfreundlich, man scheint
zunächst kein Interesse daran zu haben, ihn zu fressen. Im Gegenteil,
die staatliche Ordnung ("IN DER HÜTTE DES HÄUPTLINGS")
beschert ihm ein eigentümliches Geschenk: ein Mädchen seiner Altersklasse.
Hier bricht die Erzählung unvermittelt ab, und es erscheint der Titel
"FÜNF JAHRE SPÄTER", mit dem der dritte Teil des Films
beginnt. Dieser beschäftigt sich mit der Welt, die unsere Kannibalengesellschaft
geschaffen hat, in ihr ist Robert ein so kleines Glied, daß er nicht
mehr entdeckbar ist.
Der Grund für diesen Bruch ist, daß ich glaube, daß genau an dieser Stelle auch die mythische Erzählweise versagt, und damit letzten Endes jede Form von Erzählung. Die formale Ursache dieses Versagens liegt vermutlich im Prinzip der Vereinzelung, ohne das die Konstruktion einer Reihe verschiedener Charaktere, die dann in ihren sich überschneidenden Kraftfeldern interagieren, nicht möglich ist. Genau an der Stelle aber, wo dieses Prinzip in der oft beschworenen Komplexität unserer Industriegesellschaften noch mythische Kraft produzieren kann, da wird es meiner Ansicht nach relativ uninteressant, weil es sich dann fast notwendig (und das besonders im Film, dessen bisherige Erzählform im Vergleich zur Literatur ja geradezu als einfältig bezeichnet werden muß) auf die Form "ZWEI GEGEN ALLE" reduziert (bei etwas autosexueller veranlagten Autoren natürlich auf "EINER GEGEN ALLE"), und die Valeurs dieser Form sind psychoanalytisch so trivial, daß sie nur in autoritären Gesellschaften noch funktionieren können.
So bleibt denn Erzählung beschränkt auf das Terrain junger Menschen oder das der Alten (natürlich gibt es auch welche, die sich jung gehalten haben, auch solche, die frühzeitig gealtert sind), denn bei den Jungen ist Gesellschaft stets DAS ANDERE und bei den Alten schlägt DER TOD wohl bittere Nischen in das Netzwerk der Moderne.
Nun ist all dies sehr allgemein, und es kann nicht Gegenstand eines Filmscipts sein, alle Welt von der Durchschlagskraft dieser Argumentation zu überzeugen. Sie soll im Zusammenhang der Verfilmung unserer kleinen Geschichte nur die Einführung des schon häufiger erwähnten zweiten Erzählstranges plausibilisieren, denn bisher haben wir eigentlich nur den ersten Strang beschrieben, den, der als mythisch bezeichnet wurde, den der Ästhetik der existentiellen Romantik.
Der zweite Strang nun, der sehr vorsichtig in die Erzählung hineingewebt werden soll, möchte etwas stärker im Realitätsprinzip verankert sein. Seine Bilder werden antiromantisch wirken, sie werden versuchen, der mythischen Kraft Energie zu entziehen, sie wollen Indizien für die umweltverleugnende Negation sein, die im Hirn unseres jungen Mannes das Ingangsetzen der Geschichte erst ermöglicht.
Nehmen wir als Beispiel Marseille. Das Marseille, in dem wir drehen und das Robert 1973 erfahren könnte, ist nicht das Marseille Joseph Conrads, es ist das Marseille der modernen Industriegesellschaften, und dennoch wird es Robert und mit ihm uns gelingen, dieses Marseille zu einem Versatzstück seines Jungmännermythos zu reduzieren. Die Aufgabe des zweiten Strangs nun ist es, diese Reduktion rückgängig zu machen und die Diskrepanz zu offenbaren, so daß sich hier, und auch im weiteren Verlauf des Films, in Las Vegas, Acapulco, später in der Südsee ein interessantes Wechselspiel zwischen den beiden Ebenen entwickelt, das wie etwa das Wort LIVERPOOL am Ende der Erzählung den dritten Teil des Films mit vorbereiten hilft.
Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung zur Datierung des Textes mit der Zahl 1973. Es ist ganz einfach die Jahreszahl seiner Entstehung. Heute könnte ich einen solchen Text nicht mehr schreiben, damals konnte ich ihn nicht interpretieren. Nur so läßt sich das zum Teil überpenetrante Wechselspiel von Text und Erläuterung verstehen, das die Basis des fertigen Films werden soll, doch gerade das ist es paradoxerweise, was eine "wortgetreue" Verfilmung erst ermöglicht.
Quellen: "PICTURES OF THE LOST WORD: FIJI"
in "HENRY", Heft 4, Seiten 43-49, Hamburg 1976
Joseph Conrad "THE ARROW OF GOLD" London 1919
Herman Melville "OUMO" New York 1848
"TYPEE" New York 1849
Der dritte und letzte Teil des Films möchte nun den Bereich unserer Welt abbilden, in dem die Jungmännerträume zerschellen, und das ist der Bereich der modernen komplexen Industriegesellschaften, in den all unsere Existenzen so unzulänglich vorbereitet münden.
Ich möche damit gar nicht einmal sagen, daß unsere Gesellschaften prinzipiell unmenschlich strukturiert sind, daß man in ihnen nicht mehr leben kann, und noch weniger will das heißen, daß wir unsere Erziehungssysteme auf Teufel komm raus darauf reduzieren sollten, perfekt angepaßte Wesen zu produzieren, die problemlos in einem unmenschlichen Rahmen funktionieren können. Ich möchte eigentlich nur auf die Größe der hier lauernden Diskrepanz hinweisen, und eine der Grundmotivationen für das Machen dieses Films liegt in meinem Bedürfnis, für diese Diskrepanz ein starkes Symbol zu setzen.
Um jetzt Form und Struktur des dritten Filmteils einigermaßen beschreiben
zu können, muß ich noch einmal auf die Idee der Erzählung
zurückkommen. Ich deutete an, daß diese Idee zur Beschreibung
unserer Gesellschaften nur noch bedingt tauglich ist, und das, obwohl unser
Jahrhundert auf dem Gebiet des (direkt oder indirekt) philosophierenden
Romans Unglaubliches geleistet hat, denn diese Leistung vollzog sich auf
Kosten der Grundidee des Erzählens, der Handlung: sie degeneriert im
einen erfolgreichen Zweig der Literatur zum exemplarischen Modell einer
Lebenshaltung, und im anderen, vermutlich noch wichtigeren Zweig, bohren
die Autoren derart tief im Bewußtsein ihrer Protagonisten, daß
der Handlungsaspekt dagegen verkümmern muß. Dem Spielfilm nun,
der seiner Natur nach ein äußerliches, im Sichtbaren beschränktes
Medium ist, ist dieser zweite Weg praktisch vollkommen verwehrt, und so
bemühen sich die meisten seriösen Regisseure, so etwas wie eine
exemplarische Erzählung zustandezubringen. Nun entspricht die neunzig
Minuten Spielfilmlänge in etwa vierzig Seiten an Text, und zwar Text
der einfachsten beschreibenden Sorte (vom Typ "Erst ging er die Treppen
hinunter, dann öffneter er eine Glastür, in der sich Bäume
spiegelten, und dann setzte er sich in ein rotlackiertes Auto"), dem
bei der Verfilmung der blind wütende Abbildungsmechanismus der Kamera
eine Scheindifferenziertheit verleiht (so daß man mühelos tausende
von Seiten füllen könnte, wenn man auch nur versucht, eine Fünf-Minuten-Sequenz
einigermaßen präzise zu beschreiben, aber was solls, wenn man
den Film sieht, reduziert sich die ganze Vielfalt wieder auf "Ach ja,
eben ging er die Treppe runter, dann hat er die Tür aufgemacht, ja,
die Bäume, die sich da im Glas gespiegelt haben, die waren schön,
und dann hat er sich in dieses Auto gesetzt, so eins könnte ich mir
nicht leisten, und sowieso, es ist für mich viel zu auffällig").
Dieses visuelle Äquivalent von vierzig Seiten einfachsten Textes soll
nun das Exemplarische der Erzählung tragen, und so passiert im Film
häufig das, was die besseren Autoren in der Literatur zu vermeiden
verstehen: das Exemplarische wird überexemplarisch, denn man muß
das filigrane Netzwerk der Gesellschaft mit dem Holzhammer reduzieren, um
es auf dem Niveau dieser vierzig Seiten beschreiben zu können. Das
funktioniert ganz gut bei einfachen Gesellschaftsmodellen ("EINER GEGEN
ALLE") oder bei relativ abgekapselten kleineren Gruppen ("Minderheitenprobleme"),
aber das konventionelle Spielfilmmuster wird ausgesprochen unappetitlich,
sobald es sich in die komplizierten Interaktionsstrukturen der modernen
Gesellschaften hineinbewegt.
Diese prinzipielle Schwierigkeit ist natürlich nicht ganz verborgen
geblieben, und so gab es in den letzten beiden Jahrzehnten eine Reihe von
Versuchen, die Spielfilmform zu modifizieren. Am erfolgreichsten scheint
mir dabei eine Art essayistischer Erzählform zu sein, die sich etwa
mit den Namen Godard, Resnais und Kluge verbindet. Entsprechend wird man
bei dem hier vorliegenden Filmprojekt Ansätze in dieser Richtung im
zweiten Teil finden, am Anfang und am Ende, da nämlich, wo unser Held
sich in den Randbereichen der modernen Gesellschaften aufhält, in Marseille
und bei den Kannibalen, während in den Teilen dazwischen, wenn er sich
mit Elementen wie Wind, Wasser und Hunger herumschlägt, die konventionelle
Erzählweise durchaus ausreicht.
Dem Zustand der kompakten Industriegesellschaften aber, für den
der dritte Teil stehen soll, möchte ich radikaler angehen, und zwar
vollkommen unliterarisch auf eine Weise, die man vielleicht als musikalisch
bezeichnen könnte. Deshalb sind als Text nur Folgen von Sternen angegeben.
Grundlage einer solchen musikalischen Filmform ist eine Neubelegung der
Idee der Einstellung. Die Einstellung ist eine Grundeinheit des Films, trotzdem
aber ein sehr kompliziertes Gebilde, weil es sie als Festgelegtes in einem
projizierten Film eigentlich gar nicht gibt, denn sie ist untrennbar mit
dem Wortstrom verbunden, der von ihr erzeugt im Kopf des Zuschauers entsteht,
und dieser Wortstrom erst identifiziert das Bild, identifiziert die Einstellung.
So können wir uns ihr nur schrittweise nähern. In erster Näherung
werden wir die Einstellung einfach als Störung begreifen, als Störung
des Zustands,der in einem projizierten Film die größte Ähnlichkeit
mit einem Nichtereignis hat, des Zustands des projizierten Schwarzfilms.
Von daher ergibt sich ein gewisses Analogon zur Musik, denn auch das Grundelement
der Musik, der Ton (genauer gesagt, das Geräusch) ist in erster Näherung
nichts anderes als eine Störung der Stille (bei einer Aufnahme eine
Störung des Grundrauschens). In dem Analogon hat also Schwarzfilm die
Funktion der Stille in der Musik. Beide, Musik und Film, werden in dieser
Näherung zu zeitlichen Folgen von Störungen der Stille, und ihre
Rezeption ist nichts anderes als das Wahrnehmen der Struktur dieser Störungen
und ihrer zeitlichen Artikulationen.
Ein solches Konzept ist sehr allgemein und schließt Sprache und gesprochene Literatur mit ihren Codes und natürlich auch ihren "Verfilmungen" ein. Diese Gebiete fallen weitgehend heraus, wenn man sich auf eine musikalische Qualität im engeren Sinne konzentriert, die dadurch beschrieben wird, daß von allen möglichen zeitlichen Artikulationen nur jene zugelassen werden, die sich an einer gewissen zeitlichen Regelmäßigkeit orientieren, einer Regelmäßigkeit, die Begriffe wie Rhythmus, Takt und Metrum als Organisationsformen benutzt. In diesem Sinne wird Film zu einer rhythmisch organisierten zeitlichen Folge von Störungen projizierten Schwarzfilms.
Nun ist der Zuschauer eines solchen Films in der Lage, rhythmische Regelmäßigkeit schon bei Störungslängen von Bruchteilen von Sekunden zu erkennen, und diese Fähigkeit nimmt rapide ab, wenn die einzelnen Elemente länger als einige Sekunden dauern. Wenn wir nun als Störelemente verschiedene Einstellungen benutzen, führt dies zu einer Einstellungslänge, die sich zwischen wenigen Einzelbildern und einigen Sekunden bewegt, als typische Länge könnte in etwa eine Sekunde figurieren. Eine Filmform, die eine derart kurze Einstellungslänge als Basis hat, will notwendig anders gesehen werden als die übliche Spiel- oder Dokumentarfilmform.
Speziell führt diese musikalisch-rhythmische Filmform zu einer Neuformulierung der Idee des Schnitts. Dieser ist im konventionellen Film ein Ort kausalistischen Denkens, eines Denkens, das sich bemüht, die Wortströme, die zwei durch einen Schnitt gekoppelte Einstellungen im Zuschauer erzeugen, auf eine logisch-kausalistische Art miteinander zu verbinden. Typische Operatoren dieses Denkens sind Begriffe wie "GLEICH DANACH", "SPÄTER","AM GLEICHEN ORT","ETWAS WEITER WEG","DIESELBE PERSON", "EINE ANDERE PERSON","GLEICHZEITIG" und alle möglichen Kombinationen dieser Wortbildungen, im wesentlichen also Denkoperationen, welche versuchen, die physikalische Natur der in den Einstellungen beschriebenen aufeinanderfolgenden Bildräume nach den Methoden mechanistischer Kausalität zu verknüpfen. So wird jeder Spielfilm zu einer Repräsentation des mechanistischen Kausalitätsprinzips des frühen achtzehnten Jahrhunderts, und da nimmt es nicht weiter wunder, daß er in der komplexen Umgebung unserer Gesellschaftssysteme (denen von allen mechanistischen Beschreibungsversuchen höchstens die statistischen sich nähern können), reichlich deplaziert und lächerlich wirkt. (Das erklärt übrigens die Kraft, die Hollywoodkomödien in ihrer grotesken Form noch haben. Chaplin, die Marx-Brothers oder Jerry Lewis machten sich gerade diese Lächerlichkeit zunutze.)
In einer musikalisch-rhythmischen Filmform, wie wir sie oben skizziert haben, hat diese Art des Denkens ausgespielt. Versucht ein Zuschauer, sie zu praktizieren, bekommt er Kopfschmerzen. Die Zeit zwischen zwei Schnitten wird so kurz, daß selbst der Wortstrom, der im Gehirn das Betrachten von Bildern begleitet, nur noch verstümmelt erscheint, und alle Versuche, dieses Wortgestrüpp mit der selbstgefälligen Behäbigkeit der mechanistischen Kausalität zu entwirren, werden absurd. Menschen, deren Denken allein in dieser Behäbigkeit verankert ist, werden da leicht von Schwindelgefühlen ergriffen, und dieses Schwindelgefühl schlägt um in Haß, Haß auf den Film, doch dieser Haß ist Haß auf Kompliziertheit, auf die Kompliziertheit der modernen Gesellschaften.
(Dieser Haß hat einen wichtigen Platz im OFFENEN UNIVERSUM.)
Die Schnittstelle verliert also in unserer neuen Filmform ihre Position
als Sitz der behäbigen mechanistischen Kausalität und wird zunächst
zu dem, was sie eigentlich ist, zur Trennstelle von zwei aufeinanderfolgenden
Störungen von Stille, zur Trennstelle zweier Einstellungen. Da nun
der von den Bildern erzeugte Wortstrom ohnehin zum Wortgestrüpp degeneriert,
das kein ordentliches Kausalitätsgeflecht mehr erzeugen kann oder will,
ergibt sich auf einmal die unerwartete Möglichkeit einer erweiterten
Bildästhetik. Denn all die Normierungen, denen ein Bild unterliegt,
das im Spielfilmkontext "verstanden" werden will, verschwinden
gegenstandslos, jede Einstellung findet Platz, richtig oder "falsch"
belichtet, scharf oder unscharf, farbgetreu oder verfärbt, mit geradem
Horizont oder mit schrägem, erkennbar konkret oder eher abstrakt, jedes
Bild ohne jede Beschränkung, solange es zur rhythmischen Struktur und
dem entstehenden Wortgestrüpp in irgendeiner Form beiträgt.
Das Akzeptieren dieser musikalisch-rhythmischen Filmform erzeugt eine französiche
Revolution der Bilder: Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, und so
wie diese Prinzipien in der Geschichte der Gesellschaften den Bau des modernen
Zusammenhangs provozierten, so werden sie es auf der ästhetischen Ebene
ermöglichen, diesen Zusammenhang adäquater zu beschreiben als
jede mechanistische Kausalität das kann. Die Befreiung der Bilder von
dieser Art Kausiltät, entspricht der Befreiung der bürgerlichen
Gesellschaften von den Spätformen des Feudalismus, die im übrigen
diesen speziellen Typ der Kausalität ja auch erfanden.
Das "ALLES HAT SEINEN WOHLBEMESSENEN PLATZ IN EINEM WOHLBEMESSENEN (VON GOTT GEGEBENEN) GEFÜGE" hat ausgespielt, es lebe die Revolution der Bilder!
Es übersteigt nun den Rahmen dieser Darstellung, eine solche musikalisch-rhythmische Filmform im Gefolge der Revolution der Bilder im Einzelnen zu beschreiben. Die Materialmenge, die allein eine vorsichtige Übertragung der gebräuchlichsten musikalischen Begriffe erzeugt, ist immens, und viele der Grundgrößen wie Lautstärke, Tonhöhe und Klangfarbe müssen erheblich modifiziert werden, um auf visuellem Gebiet so brauchbar zu bleiben, daß auf ihnen beruhende Bildungen wie Tremolo, Vibrato und Triller nicht nur Sinn machen, sondern auch noch eine bemerkenswerte Phänomonolgie generieren. Und dann gibt es den beinahe unendlichen Bereich der Linienstrukturen in Bildern, aus denen sich vorsichtig, ganz vorsichtig harmonieartige Verwandtschaftsbeziehungen herleiten lassen, aus denen dann wieder eine Art visueller Melodik sich entwickelt, die ihrerseits so etwas wie Leitmotive zu erzeugen versteht, die wiederum variiert und durchgeführt können usw, usw, so daß sich schließlich ein ganzer Kosmos von Artikulationsmöglichkeiten ergibt.
In den letzten Jahren habe ich versucht, einer Reihe dieser Möglichkeiten zur Form zur verhelfen ("UNERREICHBAR HEIMATLOS"-1978-25 MIN; "SECHS KLEINE STÜCKE AUF FILM"-1978-35 MIN; "POTPOURRI AUS ÖSTLICH VON KEINEM WESTEN"-1979-30 MIN; "DAS SZENISCHE OPFER"-1981-50 MIN). Anfangs schienen die arbeitstechnischen Schwierigkeiten nahezu unüberwindlich (etwa 10000 Schnitte in den 25 Minuten von "UNERREICHBAR HEIMATLOS" und alle im Rahmen einer sorgfältigen rhythmischen Komposition), aber schließlich hat sich doch eine Arbeitspraxis herauskristallisiert, die zwar immer noch zeitaufwendig, aber doch immerhin bewältigbar erscheint. Grundlage ist eine ausgefeilte Partitur, die im wesentlichen aus Zahlen besteht, welche die genauen Bildlängen der einzelnen Einstellungen bezeichnen, dazu gibt es dann eine Reihe von Symbolen, die sich auf Bildmodulation, Helligkeit, Melodik, Bildkomposition und ähnliches beziehen. Und diese Partitur wird dann einfach verfilmt, wie im Einzelnen ist nur sehr schwer darstellbar, in der Regel bin ich froh, wenn ich an einem gut vorbereiteten Arbeitstag eine Minute fast fertigen Films schaffe. Interessanterweise löst sich das Ausdrucksproblem beinahe wie von selbst, denn anscheinend führt gerade das extrem langsame Vorankommen dazu, daß man unglaublich viel über das nachdenkt, was man da eigentlich macht, und das geht dann wohl in all die kleinen Entscheidungen ein, die beim Umsetzen der Partitur gefällt werden müssen.
All dies nun (und auch die Ansätze zur Theoriebildung davor) muß
recht vage klingen, denn mein Vermittlunsbemühen beschränkt sich
ja notwendig auf das Allgemeine, während die wirkliche Arbeit sich
in tausenden von kleinsten Details artikuliert, deren Balance letztlich
die eigentliche Leistung darstellt. Die Eleganz dieser Balance wiederum
ist eher das Resultat von Intuition, und all meine Versuche, diese in eine
halbwegs logische Kette von aufschreibbaren Einsichtsbrocken zu zergliedern,
stoßen eigentlich am Ziel vorbei, beruhen sie doch allemal gerade
auf jener mechanistischen Kausalität, die ich auf dem Gebiet des Films
so energisch angegriffen habe. Ich weiß aber nicht, wie ich in einer
Projektbeschreibung nicht-kausal argumentieren soll, wenn ich gleichzeitig
"verstanden" werden möchte. Deshalb schließe ich jetzt
einfach den allgemeinen Teil ab, und hoffe, es hat sich so viel Bemerkenswertes
angesammelt, daß man bei der nun folgenden Beschreibung des dritten
Teil des OFFENEN UNIVERSUMS einen Eindruck davon bekommen kann, worum es
eigentlich geht.
Der dritte Teil des Films also soll in der skizzierten musikalisch-rhythmischen
Art gearbeitet werden und in etwa eine Länge von 25 Minuten haben.
Gleichzeitig will er wie die anderen Teile doppelsträngig sein.
Der erste Strang soll in den Industriegebieten Mittelenglands gedreht werden und sich in Sonatenform entwickeln. Die Wahl Mittelenglands geht nicht nur darauf zurück, daß in jenen Regionen die Keimzellen der ursprünglichen Industrialisierung zu finden sind, sie berücksichtigt auch, daß alle darauffolgenden Änderungen tiefe Spuren in die Landschaft gegraben haben, und der Film möchte versuchen, möglichst viele Beziehungen der aufeinanderfolgenden Schichten sichtbar zu machen. Die Sonatenform möchte ich wählen, um den geschichtlichen Aspekt sichtbar zu machen, sie hat gerade an dem Zeitpunkt ihre Blüteform erreicht, an dem die Industrialisierung begann. Und die in den Sonaten jener Zeit herausgestellte Virtuosität, ihre Souveränität in der Beherrschung "ALLER" dynamischen Möglichkeiten und deren rührend abgrundete Zurschaustellung scheinen mir genau die Ingredienzen zu sein, die einer Darstellung der ersten, "brutalen" Industrialisierung unserer Gesellschaften adäquate Tiefe verleihen.
Der zweite Strang beschäftigt sich mit der zweiten, "weichen" Industrialisierung, die gerade jetzt stattfindet. Für ihn möchte ich Bildmaterial im kalifornischen Silicon-Valley finden, von dem diese Entwicklung ausging, allgemein umrissen von den Schlagworten vom Eindringen der Computer und ihrer Software in unsere Gesellschaften. Wieder soll aus der dortigen Industrielandschaft ein Möglichstviel an Beziehungen herausdestilliert werden. Formal orientieren möchte ich mich dabei an den linearen rhythmischen Strukturen, die aus der Beschäftigung mit Synthesizern und Rhythmusmaschinen resultieren, Strukturen, die zwar lange nicht die virtuose Raffinesse der Sonatenform, dafür aber die eindrücklich gerichtete Kraft des digitalen Mythos haben.
Beide Stränge sollen miteinander verflochten werden und zwar so,
daß am Anfang Mittelengland dominiert und am Ende das Silicon-Valley.
Auf diese Weise hoffe ich einen Eindruck vom geschichtlichen Fortschreiten
der industriellen Entwicklung geben zu können, und auf eine eigentümliche
Art werden wir auch hier jene unheimliche "Verdünnung" der
Strukturen erleben, die die Kosmologen dem expansionslüsternen offenen
Universum vorhersagen. Doch so gefällt es den Menschen, so gefällt
es den Menschen.
Wenn man den vorliegenden Entwurf gelesen hat, wird klar, daß die geographischen Begriffe, die im Lauf der Beschreibung erscheinen, mehr sein wollen als nur verkürzte Bezeichnungen von Längen- und Breitengraden, zwischen denen sich eine Art von Geschichte entwickelt. Um die auftauchenden Ortsnamen ranken sich offensichtlich mythische Geflechte, die den ganzen Film überdecken.
Europa und Amerika stehen dabei für die beiden aufeinanderfolgenden Epochen der Industriegesellschaften. Im dritten Teil des Films sollen sie in Mittelengland und im Silicon-Valley konzentriert werden, den Landschaften, in denen das wirklich Neuartige der jeweiligen Epoche sich jeweils zum ersten Male massiv manifestierte. Das Marseille und das Las Vegas des zweiten Teils stehen dagegen für den Zeitraum, der dem Vollzug dieser Industrialisierungen unmittelbar vorausging, sie repräsentieren sozusagen die romantische Variante.
Der Mythos um Marseille ist der Mythos der fernwehsüchtigen Europäer, die Imperien erobern wollten. Ihre Versuche akkumulierten immerhin soviel Kapital, daß die erste Industrialisierung sich in Gang setzen konnte. Danach erst wurde die Eroberung real. Die erste Industrialisierung ist eine Industrialisierung der Welteroberer, ihre Mythen ankern in den Häfen.
Ganz anders der Mythos um Las Vegas. In ihm konzentriert sich das Bemühen der Amerikaner, das Innere zu veräußerlichen. Es steht für alle Versuche, die menschlichen Bedürfnisse nach außen zu kehren und meßbar zu machen, meßbar in Umsatz von Geld. Und so wie die erste Industrialisierung ihre Kraft der Beherrschung der äußeren Natur verdankt, deren Symbol das Fernrohr ist, so schuldet die zweite alles dem Mikroskop, dem Symbol für den Weg in das Innen. Die Beherrschung der Elektronen und der Struktur des Inneren der Materie ist die Voraussetzung dieser zweiten Industrialisierung, und gleichzeitig materialisiert sie die Menschen, sie werden zu grauen Kästen, gesteuert von der Doppelhelix der DNS. Die zweite Industrialisierung ist eine Industrialisierung der Eroberer des Innen, ihre Mythen sprießen im Zentrum einer Wüste.
So sind denn im Film Europa und Amerika durch die Paarungen Mittelengland-Marseille und Silicon-Valley-Las Vegas besetzt und mit ihnen durch die modernen Industriegesellschaften. Einem jungen Mann, der da noch die alten Hafenmythen spürt und eine Geschichte erleben möchte, in der sie sich realisieren, bleibt nicht mehr viel Platz. Ferne und Unkompliziertheit simuliert in unseren Köpfen nur noch die Südsee, und so findet dort die Geschichte statt.
Acapulco und Liverpool sind ihre Klammern. Acapulco wird etwas länger beschrieben, damit der Übergang von Las Vegas zur Südsee nicht so abrupt wird, Liverpool als Endpunkt der Geschichte nur ganz kurz, es ist schon beinahe Teil des mittelenglischen Massivs, mit dem "FÜNF JAHRE SPÄTER" beginnt.
Die drei einzelnen Teile des "OFFENEN UNIVERSUMS" sind sehr verschiedenartig und ihre Produktion benötigt deshalb unterschiedliche Organisationsformen, um die Kosten zu minimalisieren. Zunächst eine Übersicht über die benötigten Drehzeiten.
Für den ersten Teil des Films ("1983") ist eine Woche Drehzeit in Hamburg veranschlagt.
Für den zweiten Teil ("1973") werden benötigt: eine Woche Drehzeit in Marseille, eine Woche Drehzeit in Acapulco und vier Wochen Drehzeit auf den Fiji-Inseln. Die Nebenepisoden in Las Vegas und Liverpool können im Rahmen der Dreharbeiten des dritten Teils realisiert werden.
Die Herstellung des dritten Teils ("FÜNF JAHRE SPÄTER") ist besonders zeitaufwendig. Es werden vier Monate Drehzeit in Mittelengland und drei Monate Drehzeit im Silicon Valley benötigt.
Bei einer flüchtigen Kalkulation wird sofort klar, daß Reise-
und Unterbringungskosten bei üblichen Produktionsbedingungen jedes
vernünftige Maß überschreiten müssen. Es lag daher
nahe, die Story des zweiten Teils an einem nähergelegenen Ort, etwa
den Kanarischen Inseln, zu realisieren. Genauere Überlegungen jedoch
ließen erkennen, daß eine solche Strategie die mythische Kraft
der Erzählung kastrieren würde, und das Resultat wäre so
etwas wie die Wochenendabenteuervariante eines Club-Mèditerranèe-Urlaubs.
Der Zuschauer möchte aber etwas sehen für sein Geld.
Deshalb habe ich mich für einen anderen Weg entschieden, ähnlich
dem, den ich mit Werner Herzog bei der Realisierung der Afrika Sequenzen
seines Kaspar Hauser Films ("JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE")
beschritt. Es soll also in 16mm und mit einem Minimalteam gedreht werden
(Regie, Kamera, Kameraassistenz, Produktionsleiter, wobei der Ton von den
beiden letzten abwechselnd übernommen wird). Das Resultat wird nach
der Fertigstellung auf 35mm aufgeblasen. Möglicherweise stützt
diese Produktionsweise sogar noch die mythische Komponente dieses Teils,
weil man sich dabei abenteuerlustigere erhöhte Beweglichkeit einhandelt
und eine geheimnisvollere Kornstruktur des Bildes.
Der dritte Teil nun ist besonders zeitintensiv, weil in ihm kürzeste
Einstellungseinheiten schon in der Kamera zusammengeschnitten werden müssen.
Man könnte die dafür erforderliche Drehzeit verkürzen, wenn
man diese Arbeiten nachträglich an einer optischen Bank vollzieht,
aber die Erfahrung zeigt, daß an der optischen Bank ein dreifacher
Zeitaufwand nötig ist, und da optische Bänke zu den teuersten
Instrumenten der Filmherstellung gehören, erreicht der finanzielle
Rahmen schnell die Millionengrenze. Dieser Weg ist unbeschreitbar. Andererseits
sind die existierenden transportablen 35mm-Kameras in ihrer Mechanik zu
schwerfällig für den Schnitt in der Kamera, deshalb muß
auch hier in 16mm mit anschließendem Aufblasen gedreht werden. Der
Schärfefaktor spielt hier allerdings ohnehin keine Rolle, da der Grundeindruck
der eines Flackerns ist, in dem nur die gröberen Bildkonturen ins Bewußtsein
des Zuschauers eindringen. Dadurch ist es möglich, diesen Teil mit
einem Zweipersonenteam (Kamera, Produktionsleitung) zu realisieren.