Dietrich Kuhlbrodt

KLAUS WYBORNY

Aus dem Arsch für den Arsch
(mit den aufgeführten Bild- und Textbeilagen veröffentlicht in Szene Hamburg September 1981)



Filmemacher Klaus Wyborny: Aus Hamburg für Hamburg

Hamburg, das Tor zur Welt, hat im September Gelegenheit, sich Klaus Wyborny zu öffnen. Sein neuer 75-Minuten-Super-8-Film "aus Hamburg für Hamburg" hat am 7.September im Abaton-Kino Premiere und Welturaufführung; "Am Arsch der Welt /To have and to be". Sein 55-Minuten-16mm-Film vom Vorjahr, "Das szenische Opfer", ist (mit dem Zusatztitel "An Rhein und Ruhr") am 17.September im ZDF zu sehen; stumm; dann werden die Telefone in Mainz gehen.


Vom 7. bis 10. September also im Abaton "Am Arsch der Welt", Wybornys Hamburg-Film. Darin hat er rausgelassen alles, was ihm nahekommt, auf die Füße tritt und Geschichten anfängt oder kaputtmacht. Seine Freunde treten auf und produzieren sich. Die Geschichte des Films wirkt chaotisch, dafür stimmt er punktuell, weil die Menschen, die den Blödsinn machen und dann den wahnsinnig guten Einfall haben, das Wahnsinnswerk weiterzutreiben. Keine zentrale Instanz sorgt für Organisation und Ordnung, Wyborny ließ die Freunde machen. Dafür gibts viele kleine Zentralen, wie die vielen kleinen Orte in den vielen Stadtteilen, wo man sich trifft, Musik hört, was trinkt, sieht, spricht oder sonstwie zusammen macht.

Wyborny ließ die Freunde "ihre" Szene machen im Film. Das gibt dem Film etwas von einem großen Abwarten. Was wird noch passieren? Antwort: Es wird, denn die Laune steigt, die Stimmung. Man hört den Regisseur, der in der Szene was mitpfeift (das gibt die Filmmusik) und der in die große Schlacht der Wäscheklammerflotten eingreift (so heizten Hollywoodregisseure an: Action!) und der mittorkelt, das heißt die Kamera mittorkeln läßt, wenn Ute, des Wahnsinns fette Beute, am alten Segelschiffhafen zu Boden geht. Zum Schluß hat Wyborny den Film selbst in die Hand genommen, die Freunde hatten Laune gemacht. Von Ute ist die Rede: "Und wollustig zerquetschte sich die Zukunft zwischen ihren dicken Rastertitten. Der Arsch der Welt hatte überlebt".

Den Inhalt muß man sich aus vielen Arsch-Stories zusammensuchen. Wyborny bietet dieses an: Ute (Ute Schäfer) ist als Ehefrau eines inkompetenten Blumenverkäufers (Karl Hieronymus) unzufrieden, und nachdem sie ihren Mann verprügelt hat, erkundet sie die Welt. Sie schnappt sich einen am Straßenrand hockenden Rocker (Dietmar "Didi" Heilmann), verliert ihn aber an eine Bauchtänzerin (Maja Engel). Daraufhin ist sie drei Jahre lang die Geliebte des Bundeskanzlers (Jürgen Schnitzler) und liegt jede Nacht schweißgebadet unter ihrer Decke. Sie beginnt ihren Geliebten zu hassen, klüngelt kurz mit einem Anarchistengrüppchen (Rotraut Pape, Heinz Emigholz, Connie Lotz, Walter Thielsch, Hilka Nordhausen und Margitta), und vom Wahnsinn dieser Welt abgestoßen, wird sie selber wahnsinnig und verliert sich am Schluß des Films in einer Vision an die Zukunft.


Ein Furz gegen die störende Ordnung

Und immer wieder mittendrin: "Glänzendste Hamburger Dichter bieten überzeugende Soloeinlagen". Das ist der Stil eines zeitgenössischen Ausrufers von Hamburg. Es geht nicht mehr um Makrelen, sondern um Eckhard Rhode, Jürgen Schnitzler, Dieter Brehde, Hannes Hatje. Die gibts. Jetzt.

Hannes Hatjes "joujouka" ziert an vier Stellen den "Arsch der Welt" (aus "St. Pauli Girl präsentiert Pseudo". Rufen wir es aus, daß es das Buch, erschienen 1980, bei der Losen Blätter Presse gibt, für 16 Mark).

Das macht die Laune, die Wyborny beim Filmen bekam, daß die Geste zählt, die einer macht, und auf den Inhalt kommt es so genau nicht an. So gibt es keine rechte Pointe, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt als Gummimaske auftritt (Thomas Struck), er spielt den Syntheziser statt, wie gewohnt, die Orgel; aber daß gleich am Anfang von Kerouac die Rede ist und von Ulrike Meinhof, das ist eine Art sich zu geben (eine Gebärde), die alldem, was an "burlesker Komödie" folgt, Wut dazu gibt und Wurstigkeit und Fanatismus auch. Alles zu selben Zeit und keins auf Kosten des anderen.


Am Arsch der Welt: Des Kanzlers überdrüssig geworden

Denn: "Am Arsch der Welt": Hamburg hat kein Zentrum mehr, keinen Kopf, kein Rathaus. Dafür gibt es einen Führerbunker, Helmut Schmidt als Scherzartikel und multizentrale Drehorte:

"Das ist das Wunder unserer Zeit und Deutschlands Glück, daß wir uns gefunden haben unter Millionen", - tja, das ist von Adolf Hitler, es läuft mit unter "dezentriert/ führerlos". Heinz und Bernd haben den Führersitz besetzt. Falls er noch stimmt, stimmt er für den Weg zum Klo. "Wahnsinn und Masturbation, die großen Themen unserer Zeit, interessieren mich überhaupt nicht", sagt Ute. Sie masturbiert gleichwohl im "Arsch der Welt", schön und wortlos. Weils eben kein Thema ist.

Ein Unding und kein Thema, Wybornys Film zu interpretieren. "Was will der Autor damit sagen?" - nein, wie aber wird das Loch, das in den Führerbunker gebrannt ist (nämlich in den grünen Teppich auf der Hasselbrookstraße) zum Loch der Erkenntnis (da hängt der Teppich mit dem Loch

Dieter Brehde konzipierte die Minikleingärten im Gestrüpp unter der

"Am Arsch der Welt" ist undeutlich im einzelnen und doch genau in der Attitüde. Was in Hamburg ist und was man da hat, grad jetzt und unbemerkt von denen, die in Formulierungen zu Hause sind, das ist "Am Arsch der Welt (To be and to have)": das sind seine Art und Weise, sich zu geben, - seine Bilder und Töne. Die Originalfilmmusik gibts in einer Auflage von 500 Stück als Platte zum Film: "Wie ein Hauch", 18 Titel, Seite A 7 1/2 Minuten, Seite B 6 Minuten; eine 33er Single zu DM 8 (Produktion Walter Thielsch, Hamburg). Wie kriegt man einen Hauch auf der Platte mit - oder einen Furz? Ohr auf, Mund zu! Denn: wer gleich dreinredet, hört nichts, weil er nicht warten kann. Dann gibts nur den vorzeitigen Erguß. Das ist langweilig. Für die anderen.

Wyborny schwätzt nicht. Er spielt vor. In Bildern, denen man anmerkt, daß sie gelebt sind: seine Bilder sind autobiographisch. (Die Worte kamen erst später). Ute endet

In "Unerreichbar - Heimatlos" ist


Neubeginn der Filmgeschichte

"Der Arsch der Welt" entläßt einen deutlichen Furz; der geht gegen störende Ordnung, gegen Theorie und System und Lähmung. Wyborny kippt die Vertikalen. Die Kamera steht schief in seinem Film - oder sinds die Häuser und Fassaden, die in Bewegung gesetzt sind. Die Lehre von der Horizontalität des Horizonts ist ins Wanken geraten, man braucht keinen Diskurs dafür, man braucht nur seine Augen. Zum Sehen. - Wyborny hat einen Bewegungsfilm gemacht, und man sieht darin, wohin der Kampf der Wäscheklammern führt, nämlich nirgendwo hin. Weil es um die Besessenheit geht. Auf dem Soundtrack - der Schallplatte auch - ist es zu hören, wie er mitkeucht, der Regisseur: erst jetzt kommt der Film in Fahrt.


Die Bewegung also richtet sich gegen das neue System der Hamburger Filmförderung, - nein nicht dagegen, sie unterläuft die Neue Ordnung, läßt sie für sich nicht gelten. Zwar konnte Wyborny nicht seine Absicht verwirklichen, den Film für DM 500,- zu machen. Er hat 1 Kopie gezogen und seinen Darstellern Honorare gezahlt. Alles in allem: DM 6.000,- Produktionskosten. Die soll Hamburg wieder einspielen, lieber Herr Grassmann. - Wyborny saß letztes Jahr in einem der Gremien der Hamburger Filmförderung; es störte ihn, wie tief man in den Topf griff, - sagt er (und wie wenig sich bewegen wird, - fürchte ich).

Seit seinen ersten Filmen unternimmt er Versuche, sich von eingeübten Sehgewohnheiten und von der Wort- Schiene (dem narrativen Kino) zu lösen und neue Ausdrucksformen zu finden, die etwas offen lassen für Dinge, die es außer dem Eingeübten noch gibt. Noch seine ersten Filme - ab 1966 -, zusammengefaßt in den 6-Stundenprogrammen der Wyborny-Retrospektiven. Wyborny, studierter Physiker (er wurde nie im vorgeschriebenen Beruf heimisch), war Filmautodidakt und bald an der Spitze des internationalen Avantgarde- und experimentellen Films. Er blieb in Hamburg, dessen offizielle Stellen seine Aktivitäten kaum zur Kenntnis nahmen. 1975, nach seinem Neubeginn der Filmgeschichte mit "Die Geburt der Nation" (1972), wurde er Gastprofessor für Filmästhetik an der New York State University, 1978/79 Gastprofessor

"Sich selbst produzieren, sich selbst reproduzieren, das ist es die Wirklichkeit:" Eine Textseite aus der Zeitschrift "henry6". Klaus Wyborny schrieb seine Geschichte "Dr.Mabuse, der Spinner" eigenhändig, weil das wie genauso zählt wie das was.

an der Ohio State University. An den Kunsthochschulen von Braunschweig und Hamburg hielt er Gastvorlesungen. Seine "Nicht geordneten Notizen zum konventionellen narrativen Film", erstmals erschienen 1975 in der Hamburger Zeitschrift "Boa Vista" Nr.3 wurde im Frühjahr 1981 von der Londoner Zeitschrift "Afterimage" nachgedruckt. Die Filme der siebziger Jahre: "Bilder vom verlorenen Wort", "6 kleine Stücke auf Film", "Unerreichbar - Heimatlos", "Potpourri aus Östlich von keinem Westen" - nein, genug, die Aufzählung führt zu nichts Gutem. Diese Information sagt mehr:

In den USA hat Wyborny als Lastwagenfahrer gearbeitet und amerikanische Meilen abgespult. Viele. "Fließbandarbeit" war für ihn das, was (experimentelles) Filmemachen bedeutete: "Um 2 Minuten Film herzustellen, mußt du 8 Stunden arbeiten". Dem hohen Standard der technisch/bürokratischen Organisation seiner Filme steht eine eher anarchistische Rezeption gegenüber. In "Das szenische Opfer" (1980) hat Wyborny den Spaß an der Sache, die Freude an gelungener handwerklicher Geschicklichkeit eingebracht. Es ist sein bestes Stück aus der Serie der personenlosen Partitur-Filme. Er improvisierte eine Anzahl kleiner Musikstücke auf dem Klavier, schrieb danach eine Partitur und nahm nach diesem Schema Bilder auf (Industrieanlagen von Rhein und Ruhr). Die Bewegung der Musik ging in das Bildmaterial über. Musik braucht man nicht (mehr) zu hören. Der Film ist stumm.

Das wäre (nur) ein ungemein belehrender Film übers optische Empfänglichwerden (übers Sehenlernen), wenn die Kunstfertigkeit nicht (außerdem) großen Spaß machen werde. Wyborny führt einen optischen Pralltriller vor und artistische Glanznummern. Geopfert ist im "Szenischen Opfer" das Drehbuch des Films, das literarische Szenario. Was also ist zu sehen? Für Hannes Hatje war es die Unsterbliche Begegnung der stillen Art.

Ende siebziger Jahre - seine Filme waren (fast) personenleer geworden -, half Wyborny einem offenbar gewordenen Bedürfnis ab und trat in seinen Performances als Person Personen gegenüber auf, in Hamburg im Künstlerhaus in der Weidenallee, in der Buchhandlung Welt in der Marktstraße, im Kunstverein.


Überall rebellieren die Verrückten

Melodramen! Seine Showserie "Beleidigt!" hat die Teile "Blond!" und "Eifersucht!". In "Henry (Nanzy) trainiert" stellte er in einem, "Vortrag mit Beispielen" "Die zwei schönsten Filme der Welt" vor: der eine war ein tolles Foto von Silke Grossmann. Mit dem Schlauchboot landet er auf dem Podium und löschte seine Ölbilder - in Hamburg, New York oder - in diesem Herbst - in der Alten Oper in Frankfurt ("Verwegen den Wellen entgegen").


Deutschland soll ein Rührei werden

Dem Melodramatischen wie der "Eifersucht!", dem sich zu entziehen ihm auch privat nicht möglich war, hat er sich in "Am Arsch der Welt" ausgeliefert; ausgeliefert hat er sich seinen Freunden und dem, was in ihnen an Gefühlen steckt, an Zärtlichkeit und auch Kränkung.

Bis dahin waren seine Filme Kammerspiel (die "Chamber Music" der Maja Deren), zuletzt und am schönsten im "Szenischen Opfer". "Am Arsch der Welt" ist der Versuch, ein Libretto zu finden - ohne Musik. Beide Filme zusammengebracht, das gäbe die große Oper. So ist Wybornys nächstes Projekt: die "Staats-Oper" als Film. Dort werden sich wieder Räume und Fassaden bewegen- um die Personen, die auf der Bühne bleiben: die Führer/ Präsidenten/Kanzler, die Schlachter, Maurer und Transvestiten, die Wahnsinnigen, Anarchisten und Poeten, die Staats-Leute. Die schönen Texte aus dem Hamburger Arsch-Film stammen schon aus der Staats-Oper-Material-Sammlung: "Überall rebellieren die Verrückten", stellt der Präsident der Republik im Führerbunker fest, und er dekretiert: "Die Dinge laufen lassen, bis die Infrastruktur zerrüttet ist. Deutschland soll ein Rührei werden", dann taucht er unter, in Wybornys Wohnung.


Am Arsch der Welt (To have and to be)
BRD 1981. Von Klaus Wyborny. Produktion: Connie Lotz.

Mit Ute Schäfer, Karl Hieronymus, Dietmar Heilmann,
Jürgen Heimes, Hilka Nordhausen, Maja Engel, Dieter Brehde,
Eckhard Rhode, Jürgen Schnitzler, Hannes Hatje, Heinz
Emigholz, Silke Grossmann, Oliver Hirschbiegel, Rotraut
Pape, Thomas Zanker, Axel Huber, Andy Hertel, Thomas
Struck, Bernd Broaderup, Theater Dankerrt u.v.a.


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