K. Wyborny

SULLA

V.

AEMILIUS (KAMPF UM ROM)

(Große Rede des Aemilius Lepidus gegen Lucius Cornelius Sulla)



(vorgetragen am 9.9.1993 im Literaturhaus zu Hamburg - Bild nur auf CD-Version)



I. - Hah, dachte Aemilius, jetzt würde er ihn erwischen, die dumme Sau*. Das Energische dieses Gedankens tat wohl, dann vermischte sich das Murmeln der Menge mit dem aufgeregten Pochen seines Pulses, wozu ihn von neuem ein würgendes Gefühl der Angst ergriff. Das Geräusch der Menschen schwoll an, wurde schwächer und hörte schließlich ganz auf, als er, Philipps letzte mahnende Worte im Ohr, energischen Schritts die paar Stufen zur Rednertribüne emporstieg, vor der sich in letzter Zeit so Unglaubliches - wenigstens hingen keine abgeschlagenen Köpfe mehr herum - abgespielt hatte. Zu seiner Rede hatte sich ein Publikum von erstaunlicher Größe eingefunden - es waren bestimmt genug.

‘Quiriten! Bürger Roms!’ so hätte er zu beginnen, so stand es in Philipps Redeentwurf, an den er sich halten wollte. Ein guter Anfang, tausendfach schon bewährt! Mit einem inneren Ruck wandte er sich der Menge zu, die ihm, zwischen den Gebäuden und Statuen des Forums, wie ein Ungeheuer erschien, in grauenhafter Manier zusammengesetzt aus zahllosen Menschenköpfen. Links dieses Ungeheuers leuchtete die königswürdige Halle seiner Vorfahren, die er für Rom so prachtvoll hatte erneuern lassen, an ihr, dessen war er sich sicher, würde er den nötigen Halt finden, dies half ihm, seine ins Wanken geratene Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. Als sich die ersten Worte seines Angriffs auf Sulla den Weg zu den Lippen suchten, führte er sich noch einmal die Wichtigkeit seines Vorgehens vor Augen und daß er die große römische Sache vor einem Wahnsinnigen zu schützen hatte, auch wenn es das eigene Leben kostete und das Vermögen seiner Familie. Er verneigte sich vor der Obersten Vestalin, die wie vereinbart erschienen war, und staunte noch einmal über das erwartungsvolle Schweigen, in dem gleich seine ersten Silben vibrieren würden. Ach, die Rede wird gut genug sein, dachte er und fürchtete noch immer am meisten, beim Reden durcheinander zu kommen. Doch als der Jubel der Menge nach dem ersten Satz zu ihm emporschlug, wild und, wie ihm schien, auf verwegene Art noch ganz ungebändigt, wußte er, daß sie vielleicht doch eine Chance hatten, ihren hoffnungslos erscheinenden Kampf in einen Sieg zu verwandeln.

II. - "Quiriten, Bürger Roms!" begann er: "Eure großartige Gesinnung, Eure selbstvergessene Mildtätigkeit, Eure unbestechliche Redlichkeit - Gaben, die Eure Einzigartigkeit ausmachen unter den Völkern" - seine Stimme war klar und durchdringend, fast ein wenig frostig kam sie ihm vor, während er aufrechten Standes zunächst einmal seine Erhobenheit zur Schau stellte - "gerade diese Euere erlesenen Gaben bereiten mir maßloses Entsetzen! Nicht nur vermag ich kaum Schlaf noch zu finden, ich kann deshalb nicht einmal mehr essen, und vor Sorge beiße ich nachts mitunter schon in die Kissen. Denn in Eurer zu Recht gerühmten verständigen Menschlichkeit scheint ihr leider der Ansicht zu sein, es sei ausgeschlossen, daß auf den Wegen dieser Welt auch Menschen wandeln, die ein schändlicheres Wesen aufweisen als Ihr selbst es tut. Doch nicht nur ist Lucius Cornelius Sulla so ein Wesen, er ist auch von dieser Welt! Ja, seinetwegen zerbeiße ich Kissen, wegen ihm, wegen der drohenden Tyrannei des Lucius Sulla, von dem ich fürchte, daß er Euch, Ihr Gutmütigen, bald ebenso umgarnen wird, wie er es mit den seiner Partei Zuneigenden ja bereits geschafft hat." Erleichtert, mit Erfolg einen direkt in sein Thema führenden Einstieg gefunden zu haben, wechselte er das Standbein und staunte zugleich, daß die erwartungsgeladene Gespanntheit der Menge noch nicht nachgelassen hatte, vielleicht weil er endlich mit ein wenig mehr Feuer sprach, und da ahnte, da wußte er auf einmal, daß er in ihr den unsichtbaren Funken vielleicht würde entzünden können, der für ihr weiteres Vorgehen so unentbehrlich war. Dieser Glaube gab ihm Selbstsicherheit und mit ihr die Erlaubnis, seine Stimme ein wenig zu entspannen:

III. - "Bürger, Ihr wißt, wie häufig ich in letzter Zeit an seiner Seite gewesen bin. Ich habe die Einwohner des stolzen Norba für ihn niedergemacht, die letzte Stadt, die uns widerstand, ich kenne ihn daher besser als manch anderer. Wenn ich behaupte, daß jeder seiner Pläne auf Verbrechen und Treubruch beruht, hat das deshalb Gewicht. So einer fühlt sich nur sicher, wenn er sich als noch größerer Schurke aufführt, als er es ohnehin schon ist. Wie gebannt sollt Ihr seine Schurkereien bestarren, und, die nüchterne Sorge um die Freiheit und die Zukunft unserer großartigen römische Sache vergessend, in Eurer vorbildhaften Tugendhaftigkeit blindwütig auf Rache sinnen. Ja, blind soll Euch sein monströses Verhalten machen! Ihr Lämmer! Die Ihr solches Planen, ich kenne Eure Gutgläubigkeit doch, weder für glaubhaft noch für möglich haltet. Doch sowohl Sulla als auch die Auswüchse seines perfiden Verhaltens sind nicht nur glaubhaft, sie sind wahr, in offener Unverschämtheit promenieren sie bereits mitten durch Eure Stadt. Ich habe die Hand gehalten, so gut ist mir seine Person auch privat bekannt, mit der er gerade masturbiert hatte! Noch klebrig davon zitterte sie in meiner - Nein, dieser Mann! Dieser Mann darf niemandem mehr zum Geheimnis werden!" Bei den letzten Worten, worin er den Redetext Philipps entgegen seiner ursprünglichen Absicht nicht mehr beachtete, hatte sich etwas in Aemilius verspannt, die Erregung hatte ihn die Arme strecken und dann deutlich zu eilig, als habe ihn gleich wieder der Mut verlassen, wieder zurücknehmen lassen, wobei er jedoch spürte, wie sich seinen Mitbürgern auf seltsame Weise gerade dadurch genau das Maß an menschlicher Wärme mitteilte, welches für den erfolgreichen Abschluß ihrer Sache erforderlich war.

IV. - "Nun, Sulla ist eben ein Tier!" stellte er die Verhältnisse klar, "aber über seine Gefährten, über seine Kumpane, muß ich mich wundern. Den besten Familien entstammend stützen sie, von ihm umschmeichelt, seine Exzesse. Lieber wollen sie Spielgesellen seiner Sauereien sein, als würdige Nachkommen von Aemilius, Brutus, dem großen Africanus oder dem Zensor Appius Claudius, die unsere herrliche Sache gegen Phyrrus und Hannibal verteidigten, gegen Philipp und Antiochus! Die dafür sorgten, daß es Freiheit gab und einen Wohnsitz für jeden, daß wir uns niemandem unterordnen mußten außer unseren eigenen, unseren weisen Gesetzen! Und nun kommt dieser Sklave seines Körpers daher und möchte uns Römer gleichfalls zu Sklaven machen, zu Sklaven allein seiner Person, ganz als seien wir bloß schlau besiegte, aus dem Fremdländischen stammende Feinde." Aemilius wollte lächeln, als er sich diese Worte zu ein paar knappen, gewiß nicht ausschweifenden Schrittbewegungen, herausrufen hörte, so gut schien ihr Fluß gelungen, und jetzt, wie er die Menge ihm weiterhin mit solcher Aufmerksamkeit lauschen sah, wie dies geradezu körperlich in ihn drang, mochte er auf einmal glauben, daß in ihm jene mysteriöse Macht zu wirken begann, welche die Grenzen der Einzelwesen ohne eigenes Zutun aufhebt und einer einzigen Stimme die überzeugende Klangfülle eines Chores zu verleihen versteht - das hatte er nicht nur einem Redenschreiber zu verdanken, diese Kraft kam direkt aus ihm selbst - Aber Philipp, dachte er dann doch gerührt sich von der Menge getragen fühlend: Die Rede, die du da geschrieben hast, ist wirklich gar nicht so schlecht, ja, Philipp, gut gemacht, Philipp!

V. - "Ihm scheint nicht zu reichen", hob er erneut und frischen Mutes an, "daß er in diesem Bürgerkrieg so zahlreiche römische Heere hat untergehen lassen, und mit ihnen Konsuln und vorzüglichste andere Amtsträger unserer Republik. Selbst im Glück seines schließlich erfolgten Sieges vermochte er nicht, sich seiner Grausamkeit zu enthalten, nicht einmal zu zügeln verstand er sie, obwohl schon bedeutendere Männer in solchem Glück Anlaß zu mildtätigem Verzeihen sahen. Warum überließ er bei der Eroberung von Städten ihre Bewohner nicht der bewährten Willkür unserer plündernden Soldaten, wie es bislang Sitte war? Warum mußte er die Kapitulierenden vor den Augen der weiterhin Kämpfenden derart quälen, daß sie in der Aussichtslosigkeit ihrer Lage sogar die eigene Stadt anzündeten, um lieber darin zu verbrennen, nachdem sie sich selbst mit Schwertern den Tod gaben und ihre Angehörigen mit Stricken erwürgten? Oft versuchte ich, ihn von solch sinnloser Grausamkeit abzuhalten, vergebens, auch bei der Belagerung Norbas verbot er mir ein vernünftigeres Verhalten. Dabei haben unsere Vorfahren schließlich gewußt, warum sie hübsche Frauen lieber in Rom versklavten statt sie sinnlos in brennenden Häusern umkommen zu lassen - Sulla ist solche Weisheit längst abhanden gekommen, von auf Versöhnung zielender Mildttätigkeit wollte er in diesem Krieg, obwohl es doch nur einer zwischen unseren eigenen Bürgern war, nichts wissen!" - Gegen seinen Willen hatte Aemilius zu improvisieren begonnen, wobei ihn überraschte, wie sicher er sich dabei fühlte, sein überfeines Ohr schien die Abweichungen von Philipps Manuskript so sorgfältig zu kontrollieren, daß sie die Wirkung seines Auftritts eindeutig verbesserten. Im Bewußtsein dessen setzte er nun zu seinem ersten, einem wohlangemessenen Schlag an:

VI. - "Als erster seit Menschengedenken hat diese Karikatur eines Romulus nicht nur seine politischen Gegner bestraft sondern ihren Familien zudem noch für alle Zeit ihren Besitz entwendet und damit selbst ungeborene Söhne um ihre Zukunft gebracht! In Eurer Unschuld habt Ihr das hingenommen: unbehelligt wandelt Sulla trotz dieser Ungeheuerlichkeit weiterhin unter Euch. Lebt er - in Sicherheit sogar! - unbehelligt unter Euch. Nur weil Ihr Angst vor noch größeren Verbrechen habt, fordert Ihr Euere Freiheit nicht zurück. Mit Angst allein vermag man Menschen seiner Art und seines Charakters jedoch keinen Einhalt zu gebieten: mit den eigenen Ohren hab ich kürzlich sogar vernommen, daß er nicht nur plant, als nächstes den Palatin einzuebnen, mit dem dabei anfallenden Schutt will er auch gleich noch das Forum zuschütten! Sein Schreiber Philipp, Marcus Lucullus und sogar der berühmte Roscius sind meine Zeugen. Nichts ist ihm heilig. Aber die Leidenschaft des Verbrechens, Ihr wißt es ebensogut wie ich es weiß (und wie unsere Vorfahren es jederzeit gewußt haben), kennt eben kein Innehalten, die Geschichte kennt kein Zurück! Stemmt Ihr Euch diesem Wahnsinnigen nicht jetzt entgegen, werdet Ihr nie mehr dazu in der Lage sein!" - Endlich fühlte er betroffene Ergriffenheit auf seiten seiner Zuhörer, die, selbst wenn sie seine Ansichten nicht ganz teilten, immerhin seinen lebensgefährlichen Mut zu respektieren wußten, als Zeugen seines kühnen Versuchs, der Stadt die Freiheit wiederzuschenken. Dieser Regung des Respekts mochte etwas Ansteckendes innewohnen, denn sie schien sich, dabei zögernd und in scheinbarer Richtungslosigkeit hin und herwogend, unmerklich zu vervielfachen, wobei sie auf sonderbare Weise einstimmig wurde und ihm plötzlich unmißverständlich den dringenden Wunsch dieser ansonsten noch diffusen Menge vermittelten, baldmöglichst von ihm überwältigt zu werden.

VII. - "Quiriten, Römer, Bürger Roms!" rief er zu einer koketten Nackendrehung in gehorsamer Entschlossenheit nun lauter heraus: "Laßt Euch das nicht gefallen, bewahrt den Heiligen Hügel des Palatin vor seiner mißgestalteten Tatkraft, belaßt dem aus Pessinus stammenden schwarzen Stein der Großen Mutter, den wir in Erinnerung an unsere trojanischen Vorfahren dort oben wenn nicht verehren so doch respektieren, an seinem angestammten Ort, und bewahrt Euch nicht zuletzt auch das Recht, von der Hangkante herab aufs Forum hinunterpinkeln zu dürfen, Eure Vorfahren haben gewußt, warum sie es so einrichteten. Besteht darauf nicht nur in Worten sondern auch in mannhaften Taten und hofft nicht länger nur, mit heimlichen Gebeten in Sulla Ekel und Scham zu erwecken. Weder gegenüber der Heiligkeit eines Berges noch gegenüber der beschwörenden Wirkung von Worten empfindet ein Mann seines Schlags Scham, er respektiert nur die unwiderrufliche Kraft von ihn energisch beschränkenden Taten. Nie wird er zurückgeben, was er verbrecherisch in seinen Besitz brachte, denn genau das brächte ihn in allergrößte Gefahr - sogar ein Kind könnte fortan nämlich wagen, ihn ohne Angst zu bespucken!" - Wie Speere schossen seine Worte in die Bereitwilligkeit der Menschen vor ihm und rührten in ihrer Ergriffenheit, als er nun seinen ganzen Rumpf sprechen ließ, in vor allem einer mannhaften leichten Beugung der Flanken, doch dann geschah noch mehr, etwas, was sie alle nicht, weder Philipp, Lucullus noch dieser Knabe Cicero, vorhergesehen hatten und was ihn verblüffte - es war, als würde ein Teil dessen, was er von sich gab, von der Menge auf ihn zurückstrahlen, auf ihn, den Verursacher dieser Wirkung, und das wollte ihn schier überwältigen. Gelähmt durch die Schlagkraft der eigenen Worte, dachte er: Gelähmt durch Erfolg - gab es so etwas? Kurz schwankte er wie unter dem Anprall einer zu starken Woge, und als er dem durch Entschlossenheit zu begegnen sich bemühte, bekam seine Stimme leider einen unangenehm falschen Klang:

VIII. - "Sein selbstbezogener Irrsinn hat ihn Eurer Menschlichkeit so weit entzogen, daß nur noch er selbst, nur noch die eigene Person Maß seiner Handlungen ist. Einzig sein eigenes Verlangen zählt für ihn noch, sein eignes Begehren. Als ruhmvoll und ehrenhaft erscheint so einem Hirn lediglich das, was der Verewigung seiner Herrschaft gilt. Wen wundert, daß er die große römische Sache da aus den Augen verlor. Aber damit verlor er sie auch für uns. - Früher herrschten in dieser Stadt Frieden und Ruhe in Freiheit, den meisten Menschen kam sie begehrenswert vor, mehr als das gierige Übernehmen von Ämtern und Titeln. Die jetzige grausame Zeit läßt uns solchen Frieden nicht, diesen Frieden gibt es nicht mehr für uns! Jetzt heißt es entweder dienen oder herrschen! Wer sich nach Frieden sehnt, wer Frieden will, muß zittern! Nur wer seine Mitbürger durch Furcht und Grausamkeit einzuschüchtern versteht, kann noch in Ruhe leben!" Wohl blieb ihm das Hohle seiner Worte nicht verborgen, er spürte aber nicht weniger, wie sein Publikum unter der Wirkung selbst dieses falschen Klangs nun zitterte, bald geschah das so sehr und in solchem Maße bereitwillig, daß die von der Menge auf ihn zurückgeworfene Empfindung in unkontrollierbaren Schüben übermächtig zu werden drohte. - 'Ruhig, ganz ruhig', beruhigte er sich angesichts dieses hochdringenden, immer mal wieder anschwellenden Geräuschs, das dieser Bereitwilligkeit entsprang: niemand möchte etwas mit übernervösen Verschwörern zu tun haben - aber dann entstand eine Dunkelheit in seinem Gehirn, welche das Licht, das seinen Gedanken bislang Richtung gab, wie eine Flamme beim Anprall einer Regenbö erlöschen ließ. Das Bild der erwartungstrunkenen Menschen verschleierte sich und ein hohlräumiger Schwindel wollte ihn ergreifen. Er hätte sich die Rede besser von Cicero* schreiben lassen sollen, dachte er in ihn anfallender Panik, Cicero hatte es doch angeboten. Ach, die Schmach der Niederlage, er vermochte ihren Geruch bereits zu schmecken, ein ganz, ganz bitterer Geschmack -

die Niederlage würde, gäbe er dieser Verwirrung nur eine Sekunde noch nach, von vernichtender Unausweichlichkeit sein. Nein, nein, auf den Redenschreiber kam es nicht an - er, er, Aemilius! war hier gefordert, und Philipp gewiß brauchbar genug als Hintermann, machte er sich seine Verantwortung für die große römische Sache bewußt, und in einer plötzlichen Verkrampfung der Angst gelang es seinem bereits gebeugten Willen in einem Akt grausamster Selbstkontrolle doch noch einen neuen Funken in diesem Dunkel zu zünden:

IX. - "Außer Sulla gilt nichts mehr für Sulla! Kein menschliches Recht hält vor ihm stand. Die Sonne selbst wird durch seine Taten beleidigt. Und als wolle er nicht anderes beweisen, hat dieser Wahnsinnige insgeheim nun auch den Bau eines 'Fotzenheiligtums' in Angriff genommen, ganz als gäbe es in Asien nicht schon genug davon! Selbst seine Kumpane halten ihn für vom Irrsinn befallen: in unserer Zeit - ein Fotzenheiligtum! Als seien wir nur ein weiterer Abguß des abgründigen Babylon! Sie wagen nur noch nicht, es voreinander zuzugeben. Jedwedes göttliche Gesetz ist entweiht. Keiner unserer würdigen Ahnen hätten von so einem Heiligtum zu sprechen gewagt, nie hat jemand derartiges auch nur erwogen! Bis kürzlich konnte sich das römische Volk mit gutem Grund als unter der Herrschaft des Ruhms und des Rechts stehend empfinden, als von der Gottheit erkorener Lenker der Völker - jetzt wird es von der Welt wegen seiner Unfähigkeit verlacht, sich gegen den Wahnsinn eines Einzelnen zu wehren! Der Wahnsinn eines Einzelnen! Und das betrifft nicht allein unsere Stadt, es betrifft auch unsere Bundesgenossen: auch sie hat Sulla um die ihnen für hervorragende Taten zugestandenen Rechte gebracht und dabei seinen Spießgesellen den Besitz ehrwürdiger Familien als Lohn für Verbrechen übereignet. Gesetz und Gerichte sind in der Hand eines wenn nicht schon Irrsinnigen, so doch eines Verblendeten, dazu das Staatsvermögen, ganze Städte und Provinzen, ganze Königreiche, meine ehrwürdigen, des Denkens doch noch fähigen Mitbürger, Alles! Alles kontrolliert er mit mißgestalteter Willkür." Das Rechtmäßige seiner Anschuldigungen, das zu Recht Empörende, tat Aemilius wohl. Nicht der Hauch eines falschen Klangs rührte sich hier, nicht nur seine Rede, sein ganzes Verhalten war rechtgemäß, zu diesem Zeitpunkt, an dieser Stelle, so rechtgemäß wie Handeln unter der Herrschaft von Ruhm und Recht nur sein konnte. Sogar wie er in der Erregung die Arme reckte und sie in entspannter Bewegung zurück zu holen wußte, paßte perfekt - was immer ihm fortan über die Lippen käme, auf ewig behielte es den Klang dieses von ihm geliebten Rechts! Immer mehr durchdrang ihn, mit fast bösartigem Stechen, dieses Gefühl von unverwundbarer Rechtmäßigkeit, daß er ein wenig leiser werden zu dürfen glaubte, solange er der Menge seine zu allem entschlossene Entschlossenheit vor Augen hielt:

X. - "In letzter Zeit sind Hunderte von Menschen wie Opfertiere geschlachtet worden, um ihre Köpfe hier auf dem Forum auszustellen, hier direkt vor Euch und direkt vor mir - wirkliche wahre richtige Menschen, Quiriten, solche von wahrhaftem, nicht von wertlosem Blut - wohl mochten sie Sullas Gegner gewesen sein, aber es waren doch Römer, Bürger Roms, deren Leichname man hierher schleppte, und nicht geflohene Sklaven oder gar von unserem Geschick besiegte wertlose Feinde! Unentwegt von seinem Fotzenheiligtum faselnd, schändete er die Gräber seiner Opfer und tränkte sie mit wertvollem Bürgerblut! Als aufrechte Männer müssen wir diesem Wahnsinn ein Ende bereiten oder aber mannhaft sterben. Denn allem hat die Natur ein natürliches Ende bestimmt, auch denen, die gleich ihm mit Leibwachen in eisernen Rüstungen herumlaufen, so unverletzlich sie aussehen. Nur Weiber warten auf den unvermeidlichen Tod, ohne etwas zu wagen. Sulla will uns alle zu solchen Weibern machen, die duckmäuserig an ihren Schwänzen herumfummeln und hoffen, das Unglück gehe irgendwie an ihnen vorüber." Aemilius bemerkte an sich ein lästiges Hochziehen der Schultern, das ebenso unangenehm aussehen mochte, wie das kaum weniger ruckartige Fallenlassen, womit er es gleich korrigierte, weit schwerwiegender schien aber jetzt, daß sich der Obersten Vestalin inmitten ihrer vornehmen weiblichen Entourage bei der Erwähnung von duckmäusrig befummelten Schwänzen der Mund verzogen hatte - er konnte gar nicht erinnern, daß dieser Satz Teil der Rede war. Hatte ihn Philipp im letzten Moment reingeschrieben? Doch dann erinnerte er sich wieder, ja, doch, an dieser Stelle war schon immer von befummelten Schwänzen die Rede - unter dem skeptischen Blick der Obersten Vestalin hatte er es ganz vergessen.

XI. - "Und ausgerechnet Sulla, dieser Schänder jeglichen Anstandsgefühls", wurde seine Stimme wieder lauter, und jetzt traten in seinem Mienenspiel, das nächst der Stimme ja am meisten auszudrücken weiß, Würde und Güte in geradezu perfekter Weise abwechselnd in Erscheinung: "ausgerechnet jener Sulla wirft mir vor, ich sei bloß ein störrischer Aufrührer, der sich unsinnigerweise darüber beklagt, daß politische Unruhestifter bestraft werden und diejenigen belohnt, welche diese Unruhestifter aus der Welt räumten. Er wagt mich einen Aufrührer zu nennen, nur weil ich die im Frieden geltenden Rechte zurückfordere. So weit ist es in unserer Stadt, ist es mit unserem Rom gekommen!"

"Quiriten, Bürger, Lämmer Roms! Glaubt nicht, daß Ihr diese groben Zeiten wohlbehalten übersteht, wenn Ihr die qualvollen Bestrafungen einst verdienstvoller Männer ebenso höflich beklatscht wie ihre Enteignungen und hofft, sowohl Sulla als auch seinen Mitverbrechern werde ihr Tatendrang vor lauter Erschöpfung irgendwann einmal erlöschen. Aber da jagt der eine den anderen in größere Schandhaftigkeit, und so jagen sie einander, aber von Tag zu Tag auch unseren Staat in immer größere Verderbnis. Ihr dürft nicht geduldig abwarten, bis Leute wie sein freigelassener Schreiber Cornelius oder dieser Vettius aus Picenum ihre gestohlenen Güter endlich verschwendet haben. Nehmt zum Beispiel den guten Quintus Roscius Gallus: Wir alle wissen, ein wie großartiger Schauspieler er ist, ja, nicht nur gewesen ist - vielleicht der größte, den nicht nur sein heimatliches Solonium sondern sogar die Geschichte hervorgebracht hat und je hervorbringen wird. Vielleicht ist er sogar der erste Schauspieler, dessen Darbietungen in den Rang einer Kunst gehoben zu werden verdienen, gleichrangig einer Kunst wie unserer trefflichen römischen Redekunst, von der meine bescheidene Person trotz ihres hohen Anliegens natürlich nur der minderwertigste aller Vertreter sein darf. Doch warum weigert sich Roscius, nachdem ihm Sulla den goldenen Ehrenring eines ehrenhaften Geschäftsmanns verlieh, Geld für seine Darbietungen zu nehmen? Warum begann er statt dessen, ein Buch über Schauspielkunst zu schreiben! Ich gebe Euch die Antwort, falls sie Euch, Ihr Lämmchen, nicht längst schon bekannt ist: Aus Hochmut und weil ihm die zweifelhafte Ehre, Sullas Kumpanen und nicht mehr einfachen Menschen anzugehören, zu Kopf gestiegen ist! Roscius - 500.000 bekam er für sein Schauspielern pro Jahr - beklagte sich jammernd so lange bei seinem Herrn, er drohe beim Schreiben seines Buches zu verhungern, bis Sulla sich seiner erbarmte und mit den Gütern enteigneter Gegner überhäufte. Ein Buch über Schauspielkunst - nicht einmal die Griechen haben sowas hervorgebracht! Solch Hochmut bestimmt die Natur des Menschengeschlechts, das jemand wie Sulla erbrütet hat! Und während Ihr, klein und immer kleiner Euch machend, Euren angeborenen Stolz überwindet und darauf wartet, daß diesen Schmarotzern endlich der Atem ausgeht, entvölkert sich Eure siebenhüglige süße Stadt, entvölkert sich euer ewiges Rom! Durch Mord und Verbannung, durch Verkauf oder entwürdigendes Verschenken unglücklicher Bürger, als wären sie bloß versklavte Kimbern, mit deren Blut man nach Belieben umgehen kann. In unserer Stadt gab es nicht von ungefähr seit jeher das Recht, sich gegen die willkürlich Herrschenden zu verschwören - damit hielt sich, seit Lucius Brutus den letzten König vertrieben hat, unsere große Sache in ihrem bewunderten Gleichgewicht. Es wär ja noch schöner, wenn man sich nicht einfach verschwören könnte, um im Falle des Untergangs, sollte man dabei nicht mannhaft umgekommen sein, anschließend zu sagen ‘Ich habe es nicht so gemeint!’ und dann die Last des Exil anzunehmen. Diese Unschuld erhielt unserem Staat, erhielt unseren großen Familien ihre Lebendigkeit. Was will Sulla beweisen, wenn er ein jegliches Verschwören als gegen sich persönlich gerichtet betrachtet und seine Verursacher nachtragend nicht nur umbringen sondern sie und ihre Erben nachträglich auch noch enteignen läßt? Das kann nicht Sinn unserer großen römischen Sache sein!" - Auf einmal überkamen Aemilius Zweifel, ob diese Art, seine gewiß nicht unrichtigen Ansichten in der bedachten Weise des ehrwürdigen Lucius Brutus darzulegen - mit gerade gehaltenen Nacken, weder starr noch nach rückwärts gebeugt, mit weder geducktem noch allzu ausgestrecktem Hals -, für ihre Zwecke überhaupt geeignet war. Drecksack, Drecksack! machte es in ihm, nannte dieser Philipp Sulla nicht Drecksack? - zwar erfaßten die Worte und wie sie da aus ihm herausperlten, einigermaßen das Geschehene und was man davon zu denken wußte, zugleich begann aber eine neue Art Panik in ihm aufzuwallen, denn jetzt wurde ihm klar, daß das bei weitem nicht reichte. Auch ihn Drecksack nennen war nicht genug, er müßte treffsicherer formulieren, mehr im Sinne des römischen Geists, als dieser im Grunde doch nur dahergelaufene Philipp, der nur ein Freigelassener war. Sein Worte müßten in der Menge nämlich Gefühle erwecken - urrömische Gefühle, die angemessenes Gefühl weit überstiegen, sonst würde sich nie etwas in Bewegung setzen lassen, denn er hatte die Menschen da vor ihm so weit zu erregen, daß sie schließlich tun würden, was er von ihnen begehrte. Aber woher kam das Urrömische in der Gefühlswelt? Woher kamen überhaupt die Gefühle? Von jener Mathilde, begriff er plötzlich, als ihm Sulla und Mathilde wieder vor Augen standen, ganz deutlich und in ihrer direkten Klarheit geradezu widerlich, wie er sie heimlich beobachtet hatte, Mathilde! Sie war der Weg, dem es zu folgen galt, und auch Philipp mußte an dieser Stelle in ähnlicher Richtung gedacht haben, denn auch in seiner Rede begann nun der Weg in den Abgrund der Gefühligkeit:

XII. - "Sulla und sein Fotzenheiligtum! Schlecht wird einem als Römer, wenn man daran nur denkt! - Ja, ich habe mit eigenen Augen gesehen, mit diesen meinen eigenen Augen, mit denen ich jetzt Euch vor mir sehe, wie der gerühmte Sulla neben dieser Mathilde stand und, ja: vor Geilheit zitterte!" unterbrach Aemilius den von Philipp gezogenen Gedankengang, um endlich sein, wie ihm auf einmal schien - der Kopf vibrierte ihm geradezu vor Empörung - stärkstes Argument an die Menge zu bringen. Leider blieb ihm dabei nicht verborgen, daß die Hände der Obersten Vestalin bei diesen Worten nervös und irgendwie mißbilligend über ihr Vorratskästchen mit den Penus-Gaben fuhren, ihm entging jetzt nichts: über Roßblut und Kalbsasche, ohne die sie sich nicht in die Öffentlichkeit begeben durfte, strichen jene Hände und über Bohnenstroh, gleichzeitig aber entstand weiter hinten in der Menge neue Bewegung, eine Erregung, die sich langsam nach vorne fortpflanzte - Ja, für eins mußte er sich jetzt entscheiden, er konnte nicht ewig auf das zustimmende Lächeln der Obersten Vestalin hoffen, auch wenn ihm die Rührung ihrer Skepsis wichtig erschien, jetzt mußte er etwas in Bewegung setzen! Er hätte sich die Rede doch von dem jungen Cicero schreiben lassen sollen, dachte er angesichts seines ersichtlichen Erfolges irgendwie widersinnig, Cicero hatte ja bei Marcus Antonius das Reden gelernt, der selbst Cinnas Soldaten, als sie ihn einzufangen versuchten, mit seiner Redekunst so in seinen Bann schlug, daß sie ihn entkommen lassen wollten, so berühmt war er als Redner - Flucht! dachte er, Flucht! doch dann begriff er unmißverständlich, daß er sich ja nicht mittendrin von Cicero eine neue Rede schreiben lassen konnte. Dies hier war die sogenannte Wirklichkeit - und in der Wirklichkeit muß man mit dem auskommen, was man hat, machte er sich seine Situation erschreckend endgültig klar und begann mit dem ihm eigenen Feuer stiernackig die Flucht nach vorn:

XIII. - "Ja er, ein ehemaliger Konsul, stand direkt neben Mathilde, der berüchtigten Volskerpriesterin, die den Aufstand der Samniten gegen uns angestachelt hat! Versteckt hinter einem Busch hab ich alles gesehen, zugegeben unrömisch männlich neidisch zunächst, aber dann liefen mir die Augen über vor schierem Entsetzen: Statt sie zur Strafe einfach von der Stadtmauer zu stürzen, hat Sulla ihr Bücher zu Füßen gelegt! Bücher aus der Bibliothek des berühmten Aristoteles! Ich weiß, keiner liest heute noch Bücher, aus gutem Grund benutzt man Schriftsteller noch einzig dazu, um an ihnen die Ab- und Zuneigungen der eigenen Gedankengebilde zu messen. Aber vor einer Staatsfeindin, damit sie sich damit den Staub von den Füßen wischt, Bücher aus der Bibliothek des Aristoteles auf den Boden zu legen, das kann und darf nicht Sinn der erhebendsten Anstrengungen menschlicher Geisteskraft sein, das ist Mißbrauch im Dienste mißgestalteter unrömischer Leidenschaft. Ein paar Tage drauf ließ er dieselbe Mathilde, das ist Euch vielleicht bekannt, deren Nähe er in unverbergbarer Geilheit zuvor so gesucht hatte, mit heiligen Zweigen bekränzt und Opferbinden geschmückt auf einem Karren durch die Straßen ihrer eroberten Stadt fahren, und dann gings hinauf auf den heiligen Berg der Stadt Tarracina, den Berg von Anxor, wo er im Priestergewand an ihr das Opferritual vollführte. Ja, im Priestergewand, als Priester nur nämlich verkleidet, denn Cinna hatte ihm die Priesterschaft ja rechtmäßig aberkannt, und Sulla, ohne die Stadt zu fragen, sie sich nach seiner Rückkehr aus Griechenland einfach wieder genommen! - ‘Agone - Soll ich?’ fragte ihn der Opferschlächter, bevor er zuschlug - ‘Hoc age!’ antwortete ihm, ich war dabei, Sulla ohne jede erkennbare Regung - 'Hoc age - Los!’ - ganz als tötete man nicht eine bis zuletzt widerspenstige Feindin, sondern als schlachte man ein wildes Tier. Nein, nichts ist ihm heilig!" Aemilius fühlte die Spannung oder was immer die Menge jetzt brodeln ließ, zu sich emporsteigen, verführerisch knisternd umhüllte es ihn, ein kostbarer, fast einem König würdiger Mantel, diesmal eindeutig Philipps Verdienst, zu dessen Manuskript er widerwillig zurückgekehrt war - vielleicht war dieser Philipp als Redenschreiber ja ebenso brauchbar wie Cicero, dessen Lehrer Marcus Antonius den ihn verfolgenden Soldaten ja dann doch nicht entkommen war - hatte ihm ein gewisser Annius nicht noch während seines großartigen Redens kurzentschlossen den Kopf abgeschlagen? Er, Aemilius, wollte den Kopf lieber behalten.

XIV. - "Quiriten, Ihr Lämmer Roms!" umschmeichelte er seine Zuhörer von neuem, "ich weiß, daß als Redner größere Aufmerksamkeit erregen kann, wer Zeugen vorführt, und vorhin hab ich ja Zeugen benannt, die über das Geschehen berichten. In unserem Fall jedoch sprechen die Zeugen nicht! Oder sie tun es nicht mehr, weil sie nämlich umgebracht, manche von ihnen sogar geschlachtet wurden!" Gegen seinen Willen mußte er kichern, weil ihm diese Stelle auf eine Weise gelungen vorkam, daß sie nicht ganz wahr zu sein schien, doch bevor auch er selbst sich als nicht ganz wahr wahrnehmen konnte, faßte er sich und fuhr männlich, und ohne jetzt jede Spur von Kichern oder gar Lachen, in Philipps Redeentwurf fort: "Ich jedoch denke gar nicht daran zu schweigen!" rief er billig aus: "auch wenn ich ab jetzt von Sullas Schandtaten all das übergehen werde, was zu sagen mir zu unanständig erscheint, denn wir befinden, wir bewegen uns hier nicht nur auf dem Forum unserer Stadt sondern mehr noch im Schatten unserer uns ewig einholenden Geschichte. Erlaubt mir daher, einiges von dem, was ich wohl weiß, nicht auszusprechen, wenn es zu sagen sich nicht schickt. Gestattet bitte mir und meinem Schamgefühl, daß ich den entsetzlichsten Teil von Sullas Schamlosigkeit verschweige!" - Ja, das war Redekunst! dachte er: große Kunst und Redekunst! Und dann hatte er die Verbesserung gefunden, nach der er suchte - nein, nicht Drecksack! schoß es ihm durch den Kopf - nicht Drecksack würde er Sulla nennen, sondern: Drecksau! Und jetzt, im stolzen Besitz dieser Verbesserung, fühlte er sich bereit zu seinem ersten hinterhältigen Schlag, für den er sich eigentlich ein wenig schämte, aber als er ihn anbrachte, war seine Scham längst vergessen:

XV. - "Bürger, sperrt die Nasen auf! Nehmt Ihr ihn nicht wahr, den Geruch unserer allermaximalsten Kloake? Selbstverständlich riecht Ihr ihn! Der Kanal, der den Ausstoß und Unrat unserer Stadt dem ewigen Tiber zuzuleiten hat, fließt ja direkt unter Euch! Unsere Vorfahren nannten diesen Kanal einst allermaximalst, um ihren Stolz auf diese Errungenschaft ihres Reinlichkeitsgefühls auszudrücken. Allermaximalste Bürger und Lämmchen, riecht mit mir diesen stolzen Geruch! Kein anderer Geruch stach mir in die Nase, als Sulla neben Mathilde stand! Ich spürte regelrecht, wie er sie an der Fotze berühren wollte! Ja, weder nenne ich die Schamteile einer Frau hier höflich Pudenda, Vulva oder Vagina, wie Heimlichtuer der Art Sullas es täten, und auch nicht Jasminsträuchlein oder etwa Rosenknöspchen, ich nenne sie nachdrücklich: Fotze! Denn er wollte eine Feindin Roms durch seine Berührung zur cloacinischen Venus zu machen!" - Du Drecksau! wütete es in Aemilius Kopf, du Sau und Drecksau! Dabei strich ihm ein kalter Hauch über die Stirn und ihm war, als ersticke etwas an den eigenen Worten. Etwas wie Sprachunwilligkeit wollte ihn plötzlich würgen, etwas, das sich ursprünglich weit, weit drinnen befand und, nun, durch das Wort 'Fotze' zum Vorschein gekommen, seine Zunge wie ein widerlicher Leim zu fesseln drohte. Er sah, wie sich die Oberste Vestalin wegdrehte, mehr als angeekelt offensichtlich, und bereute augenblicklich, was er herausgerufen hatte, zugleich hörte er jedoch johlenden Beifall, der weiter hinten entstand und sich dann in einer heiteren, fast unbeschwerten Welle durch die Menge hindurch fortpflanzte. - Die Jugend! dachte und fühlte er nun, sich nervös über die schwitzende Stirn streichend: Ja, das war die Jugend - er hatte die Jugend auf seine Seite gebracht! und Nicht schlecht, Philipp! und "Ich wiederhole es", rief er in das Johlen der Menge und streckte ihr seinen bulligen Hals entgegen: "Menschenohren mögen es ja kaum glauben: Er wollte eine Feindin Roms zur cloacinischen Venus machen! - - Schaut auf die Gedenkstätte der rechtmäßigen Cloacina direkt am Rand der königswürdigen Halle meiner Familie!" - Ah, dachte er, als er dort Marcus Crassus inmitten von Leibwächtern entdeckte: Wie gut, daß man sich in Rom noch immer auf seine Mitverschwörer verlassen kann, doch dann, als er die Halle seiner Vorfahren hinter dem Heiligtum so deutlich sich erheben sah, entstand in ihm auf einmal der Drang, seinen Zuhörern auch etwas Ureigenstes von sich selbst abzugeben, damit sie ihm und seiner Menschlichkeit endlich und endgültig vertrauen konnten. So unwiderstehlich wurde dieser Drang, daß er, ihm folgend, den Hals wieder einzog - so vorgestreckt wirkte das ohnehin leicht ekelhaft - und nun stiller werdend nachdenklich fortfuhr:

XVI. - "Quiriten, Bürger, Lämmer Roms! Jede Sesterze, die ich als Verwalter im Dienst unserer öffentlichen Sache aus Sizilien herauspreßte, ich habe sie uneigennützig in diese von meinen Vorfahren errichtete Halle gesteckt! Ich habe sie renoviert und unter großen Kosten liebevoll restauriert, damit Ihr darin Geschäfte unterbringen oder vor Regen aber auch starker Sonne geschützt auch einfach nur darin herumspazieren könnt. Es halten ja nicht bloß Händler sich darin auf, sondern auch jeder Menge liebenswürdiger Müßiggänger, denen Ihr mit der Euch eigenen Treffsicherheit schon den Spottnamen ‘Königswürdigler’ verliehen habt. Vermag man nicht schon daran zu erkennen, wie weit ich Euere Interessen im Auge habe? Bei wie vielen Gelegenheiten wurden dort von Euch Feste gefeiert! An nationalen Feiertagen, an Festtagen der Handelsgilde, bei der Bewirtung fremder Gäste, bei öffentlichen Banketts und was weiß ich welch anderen Gedenkfeiern. Und keiner kann zählen, wie viele feierliche Hochzeiten schon darin stattgefunden haben!" - Ah, nun flossen ihm die Worte frei von den Lippen, endlich schloß sich die rhythmische Linie seiner Sätze, eine aus einem Zug mit freier Hand gezeichnete Figur, so daß seine Hörer in dem harmonischen Wortfluß endlich das Übermaß der Spannung spüren konnten, die seinen Geist beflügelte und - "Schaut sie Euch an", rief er, weil ihm so zumute war, aus: "unsere königswürdige Halle! In ihrer zweistöckigen Säulenpracht der Stolz unserer Stadt und sämtlicher ihrer wackeren Bürger, und um Längen stabiler als die alte Halle der Porcier gleich nebenan. Beschaut nur die feine, die mehr als nur liebevolle Arbeit in jedem Detail! Sieht die Porcia neben der zweigeschossigen Schönheit unseres prachtvollen Neubaus nicht aus wie ein platter Haufen alter Scheiße, der beim nächstbesten Blitzeinschlag abbrennen wird? Abbrennen wie letzten Quintilis der Tempel des Iuppiter Optimus Maximus?" Die Menge vermittelte Aemilius jetzt den Eindruck von Ergriffenheit, wie bei einem Zirkusereignis, bei dem sich die herkulische Willenskraft eines Athleten, und er war dieser Athlet! ganz in der Spannung seiner Sehnen und dem Anschwellen seiner Adergewebe oder einem kräftig geduckten Hals, wie er ihn jetzt zur Schau stellte, offenbart:

XVII. - "Bürger und Lämmer, kaum einem von Euch blieb unbekannt, wie sehr ich Euere Interessen immer im Auge behielt. Trotz entsetzlicher Kosten habe ich das Heiligtum der Cloacina, das Sulla entweihen will, beim Umbau unserer Halle auf würdige Weise heilig gehalten. Daher darf ich, anders als er, auch wagen, nach Art unserer Vorfahren zu Euch zu sprechen - seht her, unter meiner Toga trage ich keine Tunica, sondern nur den Lendenschurz! Ich befinde mich nämlich im Einklang mit unserer großartigen, bereits seit dem königvertreibenden Brutus mehr als nur grandiosen römischen Sache! Und erlaube mir trotzdem, gestattet mir jetzt ein ernstes Wort, für das Bürgerrecht unserer italischen Bundesgenossen einzutreten. Und zu denen zählen für mich gerade auch die Samniten, obwohl sie Sullas erbittertste Feinde sind. Wer sich in Übereinstimmung mit unserer uns ewig einholenden traditionsreichen Geschichte bewegt, kann sich nämlich auch fortschrittliches Denken leisten! Die Geschichte kennt kein Zurück! Doch noch eins, ihr Lämmer und Bürger und Schicksalsgenossen! Ihr sollt mir nicht vorwerfen können, ich hätte mir hier nur ein paar Rosinen herausgepickt, um Euch, das Volk, damit aufzuwiegeln, daher gedenke ich meine volle Redezeit zu nutzen, damit Ihr Euch ein angemessenes Urteil über mich bilden könnt! Ich werde meine Redezeit sogar weit überziehen, damit Ihr ganz sicher seid, daß ich Euch nicht an der Nase herumführe!" Er empfand nun, wie sie ihm lauschten, all diese bekannten und unbekannten Römer, deren Nasen er gerade für den ekelhaften Geruch empfindlich gemacht hatte, der von Sulla nicht nur ausging, sondern vermehrt noch ausgehen würde, und vor allem lauschte ihm die Jugend! - Wegen dieser Sau und Drecksau, wollte er unbeherrscht ausrufen, doch dann spürte er sie wieder, die Frische der Jugend, geradezu körperlich, ganz als sei er selbst wieder jung, er spürte ihr beruhigendes, ihr frisches Vertrauen und fühlte sogar Erwartung - eine Sehnsucht danach, daß er ihnen helfen könne, die Beschränktheit ihrer täglichen Eintönigkeit zu durchbrechen und dem Rausch von Freude und gewöhnlichem Schmerz nahezukommen, der doch das Leben ausmachte - ja den gewöhnlichen Schmerz, den würde er ihnen bieten können, dachte er bitter, wenn sie diese Drecksau erst einmal los waren. Und jetzt wurde die Jugend für Aemilius zu einem Knäuel komprimierter Energie, zu einer dicht geschlossenen, ergriffenen Menschengruppe, die sich an Statuen und die Mauern der Stadt lehnte, worin sich ganze Bibliotheken einer ungeschriebenen und gerade deshalb großartigen Zukunft für ihn bereits darstellten, diese Zukunft mußte er nur noch mit der Vergangenheit verbinden.

XVIII. - "Betrachten wir zum Beispiel den Iuppitertempel, bei dessen Brand die Sibyllinischen Bücher in Flammen aufgingen, " rief er deshalb aus, und jetzt war ihm ganz egal, ob sein Hals nun geduckt oder gestreckt war und wie ekelhaft beides vielleicht aussehen mochte: "Selbst diese fürchterliche Katastrophe hat Sulla als vielversprechendes Zeichen gedeutet, als Zeichen für die Notwendigkeit eines von ihm zu bewerkstelligenden Neuaufbaus Roms, und das, obwohl er nur an die Fotze Mathildes dachte." Wieder vernahm er den johlenden Beifall der Jugend, von der er jetzt die erregten Gesichter erkennen konnte, die in überempfindlicher Heftigkeit zusammengepreßten Münder und sogar die lebhaften Augen, deren Bewegung der Atem seiner Worte zu verändern schien, einem Windhauch gleich, der über ein Beet zarter, allzuzarter Blumen weht. Aber man durfte nicht nur der Jugend vertrauen - es gab auch die anderen, die ein wenig Älteren, solche wie ihn selbst, die Besonneneren, die Verantwortungsbewußten, auch die durfte man nicht vergessen, und so wandte er dem vielversprechenden Reich zarter Blumen den Rücken, er tat es nur widerstrebend, um sich wieder an Philipps Redeentwurf zu orientieren: "Ja! Hier am Heiligtum unserer cloacinischen Venus vor unserer königswürdigen Halle", loderte seine Stimme von neuem metallisch auf, "wo Virginius seine Tochter tötete, die allseits beliebte und sehr schöne Virginia, damit sie nicht der Lust des Zehnermanns Appius Claudius zum Opfer fiel", und als er Crassus weiterhin angespannt wie vereinbart an genau dieser heiligen Stelle sah, dankte er den Göttern, daß Crassus dort stand und nicht dieser Sulla, "beschwöre ich Euch, der Vergangenheit zu gedenken. Auf solche Taten sind wir Römer aus gutem Grund stolz. Aber sollen wir etwa auch darauf stolz sein, daß Sulla einen Tag, bevor er sie gesetzesgemäß umbringen ließ, mit der Fotze einer Feindin unserer römischen Sache herumspielte? Daß er sie auf niederträchtigste Art zur Kloake zu machen versuchte? Abscheulicher kann doch ein Angriff auf die cloacinische Göttin, auf die Schutzherrin unseres allermaximalsten Abwassersystems, gar nicht sein!" Das Gejohle der Jugend verriet Aemilius, daß er den richtigen Weg beschritten hatte, und "Bürger, Quiriten, Lämmer Roms!" brachte er sein Argument auf den Punkt, "wenn Ihr so einen Frevel ungeahndet laßt, wenn er ungeahndet bleibt, vor uns und den Göttern, werden sie uns nicht ungestraft davonkommen lassen. Die Abwässer der Stadt werden überfließen, mehr und immer mehr werden sie überfließen, bis sie schließlich das Heiligtum der Cloacina selbst überschwemmen und aus den Fugen im Pflaster des Forums treten, um es eine dreckige Lache zu verwandeln. Rom wird am Gestank seiner Kloaken ersticken!" - Ah, sehr gut, dieser Philipp, dachte er in dem herausgegrölt zu ihm aufwallenden Applaus der Menge, er ist eben ein Dichter! Aber manchmal waren Dichter nicht gut genug, man mußte den Leuten schon einiges mehr als Dichtung bieten, wenn sie sich auf richtige Weise erregen sollten: "Ja, mit meinen eigenen Augen", bot er den Leuten jetzt wirklich was dar, "habe ich gesehen, was Sulla mit jener Mathilde vorhatte! Ich stand hinter dem Busch, hinter dem er sich einen abgewichst hat. Ich weiß, daß sich auch der große Scipio Africanus sich vor der Schlacht von Zame einen runtergeholt hat, es steht in den Annalen der Stadt, aber da ging um die große römische Sache, weil Scipio nämlich befürchtete, er würde sonst wegen unmäßiger männlicher Verspannung Fehlentscheidungen treffen. In Sullas Fall ging es aber nicht um eine Schlacht. Er hat sich nur aus Langeweile einen abgewichst, aus unrömischer Langeweile. Ein Mann, der sich langweilt und seine Zeit derart unrömisch verschwendet, darf nicht Diktator werden! Und dann habe ich gesehen, wie er diese Priesterin aus ebenso großer Langeweile auf Steine gestellt hat! Und sich auch bald davor! Seine Schenkel wollten auf gemeine Weise zwischen ihre gelangweilten Schenkel!" - Ja, jetzt hatte er dieses untrügliche Gefühl der Verbundenheit mit seinen Zuhörern, davon begehrten sie unmißverständlich mehr! Wie durch ein Wunder war ihm gelungen, ihre Seelen zu einer einzigen zu verschmelzen, und ihm war, als könne er diese Menge nun mit seiner Hand greifen und in seiner Faust zusammenpressen oder zerreißen oder verbrennen, wie bedruckte Stücke Papier! Diese Drecksau! und Ah, die Jugend, jubelte er, von sich richtig begeistert, und wußte den Stolz über das von ihm Geleistete im Tonfall seiner Stimme, trotz aller Anstrengung, immer weniger zu verbergen - ich habe die Jugend auf meiner Seite! Und - "Ja! Einen Fotzenkult wollte er um ihre Person errichten! Um eine minderwertige, eine der Stadt feindliche, um eine staatsfeindliche langweilige Person! Ich habe gesehen, wie er auf jämmerlichste Weise versuchte, sie seine Erregung spüren zu lassen! Breitbeinig stand sie mit geschlossenen Augen vor ihm auf Steinen, und dann habe ich gesehen, wie er ihr zwischen die Beine greifen wollte!" An ihrem johlenden Beifall erkannte Aemilius, daß die Menge mehr in dieser Art von ihm verlangte, und ha, er gab ihnen mehr: "Wenn er es wenigstens mit ihr gemacht hätte! Wenn er sie auf römische Weise erniedrigt, wenn er sie da gefickt hätte, zum Beispiel im Zelt, das gleich danebenstand, hätten wir, hätte Rom, ihn verstehen können. Wenn er sich wenigstens mit ihr in den Schriftrollen der in Athen gestohlenen Bibliothek des Aristoteles gewälzt und sie darin gefickt hätte, das alles hätten wir verstanden, schließlich sind wir ja Römer! Aber er traute sich nicht einmal, ihr zwischen die Beine zu greifen! In seiner perversen gelangweilten Geilheit hat er jedes Maß für das Männliche verloren!" Er hörte Buhrufe - Buhrufe? Für ihn? Doch nein - die Buhrufe galten Sulla! Ja, jubelte Aemilius, er hatte sie im Griff, diese Menge, doch nun, da entgegen aller Erwartung sein Ziel, die Niederwerfung der Diktatur Sullas, tatsächlich erreichbar vor ihm lag, galt es, vorsichtig zu sein, wirklich vorsichtig. Jetzt konnte er diese Drecksau nämlich wirklich vernichten. Nur durfte er das nicht im letzten Moment noch verspielen - sollte er zu Philipps Rede zurückkehren? Er war sich plötzlich nicht mehr ganz sicher, merkte jedoch zugleich erleichtert, daß er sich während des kühnen Auf- und Abschwellens seines Geistes in seiner äußeren Wahrnehmung eine seltsame Klarheit hatte bewahren können, eine von ihm nahezu abgetrennte Fähigkeit, die desto schärfer hervortrat, je beflügelter und wärmer er in seiner Beredsamkeit wurde. Er fühlte, wie die Angestrengtheit seines Geistes sich allmählich in Mühelosigkeit verwandelte und sein überstarkes Wollen durch eine frei schwingende Energie verdrängt wurde, die sich dunkel wie ein Instinkt unter der Schwelle seines Bewußtseins betätigte, doch er wußte auch, daß er sich davon nicht zu weit treiben lassen durfte, und daß er den Menschen vor ihm jetzt sagen mußte, was er von ihnen wollte. Und danach mußte er sofort, wirklich sofort, den Anschein großzügiger Sachlichkeit erwecken, so daß sich niemand von ihm übertölpelt fühlte - hatte Philipp auch das bedacht? Aber ja, Philipp hatte auch das bedacht!

XIX. - "Quiriten, Bürger Roms, weg mit dieser Sau Sulla!" machte er deshalb seine Absichten zunächst einmal unmißverständlich klar, und jetzt war er froh, daß er vorhin gerade noch rechtzeitig vom 'Drecksack' zur 'Drecksau' gelangt war, und von der 'Drecksau' zur 'Sau', so daß er dieses Wort schnell noch in Philipps Text einzufügen wußte, und da war er endlich, der Beifall, den er sich von der Klarheit dieses Satzes erhofft hatte, dieses urmännliche Gegröle, mit dem man die Welt zu bewegen vermochte - Herrlich, rief er sich zu, herrlich: Ich rede - sie hören mir zu; sie haben mich in ihrer Gewalt - ich sie in meiner! - "Wollt Ihr etwa, daß wir alle wie Virginius unsere jungfräulichen Töchter umbringen müssen, um sie vor kloakenschänderischen Ungetümen vom Schlage Sullas zu schützen?" fragte er den nach Vaterschaft sich sehnenden Teil der Jugend im genau richtigen Tonfall und als gäbe es auf die so gestellte Frage auch eine andere als die erwartete Antwort: "Oh, Sulla weiß sehr wohl, worum es hier geht. Er weiß sehr wohl, daß er mit seinem widernatürlichen Handeln im Schatten der Unsittlichkeit des berüchtigten Zehnermanns wandelt!" ging er nun die ersten Schritte in die notwendige Versachlichung: "Deshalb tut er so, als wandele er statt dessen in den Fußstapfen des Zensors Appius Claudius*, des von uns seit gut einem Jahrhundert verehrten Vettervetters jenes Jungfrauenschänders, und versucht seine Schandhaftigkeit durch Bauherrentätigkeit zu überspielen! Sulla als Nachfolger des gewaltigen Appius Claudius - welch schändliche Verdrehung der Geschichte! Und genau den Geist dieses unvergleichlichen Zensors gedenke ich jetzt zu beschwören, damit er einmal sieht, was Sulla mit seinem Gedächtnis anzustellen beabsichtigt, den Geist des von uns allen tief verehrten Appius Claudius Caecus, der uns nicht nur die Via Appia gebaut hat, sondern zudem die erste Wasserleitung, und der, weil er im fortgeschrittenen Alter erblindete, weniger als andere unter dem leiden wird, was er jetzt sehen müßte. Keiner von uns wird je vergessen, wie er allein uns durch eine großartige Rede daran hinderte, vor Phyrrus zu kapitulieren und daß unser Vorfahren ihn deshalb und wegen seiner lichtlosen Weisheit liebevoll ‘Der Blinde’ nannten!"

XX. - "Größenwahnsinnig will Sulla in seiner Schändlichkeit selbst die Erinnerung an diesen Bewahrer des Vaterlands verschändlichen - er versteht es nicht anders: was er anpackt geht den Weg der Schande! Wie Euch bekannt ist, schlängelt sich die Straße des Blinden auf dem Weg nach Tarent wegen der Sümpfe vor Anxor den Gegebenheiten des Geländes folgend an den Berghängen entlang. Wie soll ich wissen, warum dies Sullas Mißfallen erregte, aber er hat den Befehl gegeben, diesen über Jahrhunderte bewährten Verlauf zu ändern und die Via Appia statt dessen auf einer geraden Linie wie einen Kanal durch den Morast der Sümpfe zu führen! Und in Anxor selbst will er die Felsen am Meer sprengen lassen, damit die Appische Straße dort nicht den herkömmlichen Weg über den lautulischen Paß und die Berge zu nehmen braucht, sondern längs des Meeres nach einer Kurve weiter gerade verlaufen* kann." - Sie reagieren auch auf meine Sachlichkeit, dachte er aufgeregt, als er jetzt Pfiffe hörte, Pfiffe an der richtigen Stelle! Mit solchen Pfiffen zu solcher Sachlichkeit würde man in Zukunft wieder Politik machen können, eine vernünftige, eine gottgefällig sachliche, nicht nur kloakenbewahrende Politik, und "Einen unversöhnlicheren Gegensatz zur lieblichen Geschwungenheit unserer Berge als diese sture Gradlinigkeit ist kaum vorstellbar. Sind diese Krümmungen nicht Teil unserer römischen Geschichte? Sich den Bergen anschmiegende Straßen gehören ebenso zu unserer siebenhügligen süßen Stadt wie König Romulus zu Remus!" Brausender Beifall belohnte diese gelungene Redefigur, bis er ihn, leider zu überhastet, wie er sofort fand, mit einer relativen Belanglosigkeit unterbrach: "Und schließlich gibt es ja bereits einen Kanal durch die dortigen Sümpfe, so daß, wer unbedingt geradeaus fahren will, doch in ein Schiff steigen möge und sich darin von Pferden ziehen lassen - ich jedenfalls möchte nicht in so einem Schiff durch die Sümpfe gezogen** und von Mücken zerstochen werden!" Leider wohnte seinem Gedankengang jetzt etwas Unlogisches inne, er hatte sich vergaloppiert, oder um im Bild zu bleiben, in einem Kahn abtreiben lassen, aber das machte nun nichts mehr aus, denn nun hatte er sie, seine Zuhörer, in seinem Bann, und sie hatten ihn in dem ihren! Was scherte ihn, daß er jetzt wieder mit, leider seine Gewohnheit, zu verkürztem Nacken sprach, das war eben seine Natur, und was tat schon, daß das einen verächtlichen, lakaienartigen, ja gleichsam gaunerhaften Eindruck machte! Die Rede, die er hier hielt, war großartig, und er war, so sehr das bisher jedermann bestritten hatte, ein großartiger Redner, ein würdiger Vertreter der römischen Redekunst:

XXI. - "So also sieht es aus, wenn eine Drecksau wie Sulla in die Fußstapfen eines Vaterlandsbewahrers tritt. Glaubt Ihr denn, der von uns allen verehrte Appius Claudius hätte den Vertrag mit Phyrrus nur zerrissen, damit solche wie Sulla jeden Tag gesetzlose Verträge mit irgendwelchen Fotzenbeschaffern schließen können? Daß er Rom mit seiner Leitung das Wasser nur geschenkt hat, damit sich ein Drecksack wie er sich nach seinen unreinen Kopulationen darin waschen kann? Und wurde die Appische Straße von ihm nur gebaut, daß wir Sulla darauf bewundern sollen, wie er eskortiert von den Ehemännern der von ihm schändlich entehrten Frauenwelt darauf hin- und herparadiert?" - Ging er zu weit? War er zu weit gegangen? überlegte Aemilius angestrengt, doch selbst die Jugend war angesichts dieser vernichtenden Sachlichkeit auf einmal mucksmäuschenstill, erwartungsvoll jetzt an der richtigen Stelle, und bevor er, ohne daß ihm schmeichlerische Anschmuserei vorwerfbar war, gleich richtig loslegen würde:

XXII. - "Wir alle haben gelernt, die Weisheit unserer Zwölftafelgesetze zu respektieren. Damit waren wir und unsere Vorfahren nicht nur gut beraten, sondern auch gut bedient. Sie empfehlen uns, beim Bau unserer Vias die Breite von zwei Wagen nicht zu überschreiten. Sullas neue Via Appia soll aber drei Wagenbreiten messen! Woher nimmt dieser Vaterlandsverunreiniger die Unverschämtheit zu einer solchen Änderung? - Bisher erlaubte uns die Weisheit der Gesetze drei Arten Wege: als erstes ‘Itinera’-Wege für Fußgänger, wie es die meisten von uns nun einmal sind, die so breit sein müssen, daß zwischen den Häusern noch Balkons gebaut werden können; zweitens genau einen Wagen breite ‘Actus’-Straßen, damit Wagen sie befahren können; und schließlich..." - Genau, dachte Aemilius, 'erstens', 'zweitens' und dann 'schließlich', so wird eine Rede übersichtlich: "Ja, und schließlich ‘Via’-Straßen, die genau darum zwei Wagen breit sind, damit zwei Wagen aneinander vorbeizufahren vermögen. Diese Aufteilung der Straßen nannten unsere Vorfahren weise! Und Sullas neue Straße, soll sie etwa eine neue Sorte Straße sein? Bürger! Kann sich irgendwer mit noch zusammenhängendem Verstand vorstellen, daß es Sinn macht, daß drei Wagen nebeneinander fahren? Das ist doch, als ob man sich zwei Monde am Himmel wünscht! Ein solches Denken bringt die römische Sache selber aus ihrem hart erkämpften Gleichgewicht!"

XXIII. - Die stumme Andacht der Menge schien sich von dieser jedenfalls ihn überzeugenden Argumentation ebenfalls ein wenig überzeugen zu lassen, sonst hätte er doch jetzt Unmut gehört, und so setzte Aemilius, beruhigt davon, daß er sich nun auf abgemessenerem, in sogar läppischen Wagenbreiten ausmeßbarem Gelände befand, seinen Gedankengang fort: "Aber Sulla will alles anders machen!" rief er so lebhaft aus, wie es ihm römischer Gleichmut im Umfeld solcher Sachlichkeit gestattete: "Und weil er seine sittenwidrigen Änderungen keinem gesunden Menschen mehr zu erklären wußte, schaffte er sogar die Zensur ab, dieses großartige Amt, das nicht nur die Zusammensetzung unseres Senats bestimmte sondern seit jeher die Oberaufsicht für die Instandhaltung der öffentlichen Gebäude und Tempel innehatte. Selbst Bauaufträge vergibt Sulla jetzt selbst!" Doch jetzt spürte er, daß irgendwas nicht mehr stimmte, der Beifall, der ihn nun unterbrach, kam ihm zu halbherzig vor, auf leider nur allzu klare Weise diffus, unendlich dünn verglichen mit dem, der ihn vorhin, sogar als er beinah schon ein wenig platt auf Romulus und Remus zurückgefallen war, empor getragen hatte. - "Durch die Abschaffung des Zensorenamtes ist er selbst zum Zensor geworden", folgte er, nervös nun über die Textrolle streichend, dem Manuskript Philipps: "und so entscheidet Sulla nun selbstherrlich selbst und allein, daß Straßen plötzlich drei Wagen breit sein dürfen oder zwei Monde am Himmel, auch wenn es jedweder Vernunft widerspricht. Weil er die Bauaufträge nun allein vergibt, erlaubt er dem jungen Marcus Lucullus ein Heiligtum im zerstörten PraenesteLXXXVII ganz nach seinen Vorstellungen zu bauen, ohne sich darüber mit irgend jemandem aus unserer Stadt zu beraten. Und hier, direkt im Zentrum unserer Stadt, im Zentrum Roms, direkt hinter mir, vor Eueren Heiligen Augen, wird am capitolinischen Hang ein kostspieliges Gebäude errichtet, wovon kein Mensch weiß, was später darin geschehen soll. Sulla hält es nicht einmal mehr für nötig, der Stadt mitzuteilen, warum was in ihrem Zentrum geändert wird. So weit glaubt dieser selbsternannte Zensor nach der Abschaffung des Zensorenamts gehen zu dürfen!" - Aemilius überfiel ein Anflug von Panik, jetzt gab es überhaupt keinen Beifall mehr. Rede ich zu schlecht? Knarrt meine Stimme? Ist mein Nacken zu steif? Hätte ich doch Cicero nehmen sollen? In dieser sich den Göttern sei dank wenigstens wieder entknotenden Bangigkeit wollte ihm jedoch nichts besseres einfallen, und so hörte er weiter Worte aus sich herauspurzeln und trudeln, von einem Perlen konnte schon lange nicht mehr die Rede sein, die irgendwie keinen Sinn machten, ganz als sei sein Mund nicht mehr mit ihm, mit seiner ureigenen Person, verbunden: "Seit er allein über ihre Vergabe befindet, bekommt man Aufträge für Bauten nur noch durch Bestechung, und wen will das wundern: In unserer ruinierten Stadt kann er ja nur mit Bestechungsgeldern seine großartigen Heiligtümer bezahlen."

XXIV. - Nein, knarren tat ihm die Stimme nicht, und jetzt stiegen endlich wieder ein paar zaghafte Buhrufe empor, eigentlich müßte jetzt indes etwas anderes her, etwas viel Entschlosseneres, etwas fürs Gefühl! Doch Philipps Rede verteidigte weiter leider bloß biederen Menschenverstand und trottete in ihrer trübselig stimmenden Redlichkeit, zu der man nicht einmal richtig die Atme recken konnte, weiter bloß vor sich hin: "Euch ist vielleicht bekannt, daß Sulla die Instandhaltung des Castortempels kürzlich an die Firma von Publius Iunius vergeben hat. Weil der Tempel sich noch in ausgezeichnetem Zustand befand, auch die Decke war noch überall aufs Schönste getäfelt, so daß man eigentlich nur die Wände kalken mußte, hat Iunius ein so günstiges Angebot gemacht, daß Sulla es nicht ausschlagen durfte." - Langweilig, das war langweilig! Günstige Angebote, ha, ha! Aemilius war die nun folgende Empörung bereits gestern, als er die Rede mit Philipp noch einmal durchging, als zu bieder aufgestoßen, aber für so lebensgefährlich, wie sie jetzt zu werden drohte, hatte er Langeweile bisher nie gehalten, - "Als Publius auch nach wiederholtem Drängen kein Bestechungsgeld bezahlen wollte, ließ Chrysogonus die Säulen des Tempels mit dem Lot nachmessen und stellte fest, daß sie ein wenig schief waren - das waren sie freilich schon seit Jahrhunderten." - Nein, nein, die Jugend war mit solchen Argumenten nicht zu gewinnen, dachte Aemilius mutlos, nie und nimmer und nirgendwo auf der Welt - Ach, er hatte die Jugend verloren. Dafür schaute ihn die Oberste Vestalin freundlicher an, aber das würde niemandem nützen, mit der Obersten Vestalin würde keiner, der seine fünf Sinne noch einigermaßen zusammen hatte, etwas anfangen wollen, und "Oh, nein", schrie er plötzlich auch für sich selbst unerwartet laut in einem heftigen Knurren: "Nein, Sulla selbst tritt bei diesen Bestechereien natürlich nicht auf, nicht in eigener Person, die Drecksarbeit läßt er Chrysogonus machen, seinen Freigelassenen, irgendwie muß das Geld für diese fragwürdigen Heiligtümer ja zusammenkommen. - Als Iunius, der wie Ihr wißt fromm der römischen Sache verbunden war, fromm wie kein anderer, sich weiterhin weigerte, zu zahlen, zwang man ihn, alle Säulen des Tempels Block für Block den Buchstaben, nicht aber dem Geist der Vereinbarung gemäß abzubauen, um sie anschließend nach dem Lot wieder aufzurichten - so wurde ein anständiger Mann wie Iunius von Sulla ruiniert und wen hat es gewundert, daß er sich bald den Tod gab? Jedem, der mit Anstand die nächsten Jahre überleben will, wird es nicht anders ergehen. Ja, so sieht es hinter dem Vorhang von Sullas schönen neuen freien Gesetzen aus!" Nein, mit dieser Art von Argumentation, dachte Aemilius niedergeschlagen, konnte er die Jugend nicht wieder begeistern - Bestechung! Wen interessierte Bestechung - alle ließen sich bestechen! Verflucht Philipp, wie kann man eine Menge so falsch einschätzen. Verloren! sie waren verloren! machte es in ihm, doch tapfer in seiner Verlorenheit fuhr er in seiner Rede fort:

XXV. - "Bewegt sich Sulla also in den Fußstapfen des Censors Appius Claudius? Nein, Nein, Nein! Auf ewig wird Sullas Name mit dem des schurkischen Zehnermanns verbunden bleiben, des verabscheuungswürdigen Verbrechers, der die heilige Virginia schänden zu wollen sich unterstand. Rom wird stinken, wenn ihm nicht schleunigst das Handwerk gelegt wird. Und hat er die verehrungswürdige Kloakenvenus etwa mit einer Jungfrau wie der schönen Virginia geschändet?" - Ah, endlich, dachte Aemilius, nein: das ging nun wirklich nicht zu weit, "Nein, nicht einmal seine Schändlichkeit bewegt sich römisch in unserer großen Tradition!" hob sich seine Stimme mit deutlicher Erleichterung, denn nun spürte er den Wendepunkt seiner Rede und damit des heutigen Abends und damit voraussichtlich aller kommenden Zeiten: "Nein, er beging dieses Verbrechen mit einer Volskerpriesterin, mit dieser Mathilde, einer Dienerin nur der stutenmilchgenährten Camilla, die bereits unserem Stammvater Aeneas hatte vernichten wollen. Mit Pfeil und Bogen und zweischneidig zuschlagendem Beil war sie in der Schlacht von Privernum bekanntlich mit König Turnus verbündet, unserem erbittertsten Feind, um sich der Gründung unserer Stadt im letzten Moment noch zu widersetzen. Und was hat unser Sulla getan? Er hat diese der Camilla ergebene Mathilde mit dem Namen ‘Circe’ angeredet, das muß man sich mal vorstellen, ich habe es selbst vernommen, der Circe aus dem Werke Homers! Schau auf den Berg der Circe! hat er der vor ihm auf Steinen sich ausstellenden Mathilde - und ihr hättet sie da in ihrer Breitbeinigkeit mal sehen sollen - in seiner Verklemmtheit zugerufen. Statt die Drecksau zu bleiben, die er als Mann nun einmal ist und sich damit mannesgemäß abzufinden, wollte er die der Weisheit Homers entsprungene liebliche Circe zur Sau machen!"

XXVI. - "Ja, warum erstrahlte der Menschheit denn der leuchtende, unvergleichlich großartige Genius Homers? Damit Sulla ihn zur Sau machen kann? Nein - so erhaben sind Homers Themen, und so glänzend ist seine Dichtung, daß er es als einziger verdient, ‘der Dichter’ genannt zu werden." Endlich drang wieder Beifall zu Aemilius empor, nicht stark wohl, aber er war bestimmt, und vor allem war es Beifall an der richtigen Stelle, Beifall für den großen Homer, für unseren Homer: "Seine einmalige Größe zeigt sich auch darin", begeisterte er sich an diesem Gedanken, "daß es weder vor ihm einen Dichter gab, den er nachahmen konnte, noch nach ihm einen, der in der Lage war, ihn nachzuahmen. Denkt Sulla etwa von sich, er sei eine neue Art von Homer? Mich wundert bei dieser - ich mag es gar nicht in den Mund nehmen - bei dieser: sich suhlenden Sau! überhaupt nichts mehr, Bürger, doch ich muß mich, Quiriten, an die Schamhaftigkeit erinnern, die ich Euch versprach: Schluß also mit solchem Schweinkram, Ihr Lämmer! Aber es fällt eben schwer, von einer schamlosen Person ohne Schamlosigkeit zu sprechen", wurde er, beinahe sich entschuldigend, auf einmal ganz still, was so gegen seine Art war, dieses sich Entschuldigen, daß er sich wunderte; und plötzlich begriff er, daß er sein Publikum auch anders fesseln konnte, daß es noch etwas anderes als die Obszönität gab, mit der er über Mathilde und Sulla herfiel, nein, es gab auch eine Art Entrückung, die mit der römischen Sache selber zu tun hatte.

XXVII. - "Bürger, Quiriten, Ihr Lämmer Roms!" hob er mit neuer Zuversicht an, "schaut noch einmal auf meine Toga, unter der ich tunicalos den Lendenschurz trage! Daran könnt Ihr meine aufrichtige Schamhaftigkeit erkennen und auch, daß ich ein würdiger Nachfahr unserer ehrwürdigen, süßen römischen Sache bin", und jetzt fühlte er deutlich, daß er nach all diesem Unsinn womöglich zu einer Brücke werden könnte, auf der er den hier auf dem Forum Versammelten die Schönheit der göttlichen Gabe der Wahrnehmung brachte, schließlich war dies ein durch Jahrhunderte des Ruhms nachdrücklich geweihter Ort - "Es gab einmal eine Zeit", rief er mit auf einmal selbstsicher modulierender Stimme, aus der jedes Knarren und Knurren entschwunden war, "da war das Forum angenehm leer, und wenn dann die Festspielzeit kam, dann wurde es mit Statuen geschmückt, die man zum Teil aus den Provinzen zu leihen pflegte, das hielt unser Reich zusammen und gab unseren Augen gelegentlich etwas Abwechslung, das waren die guten Zeiten." - Ja, nun war er da, wo er eigentlich sein wollte, jetzt übersetzte er die Sprache der Gebäude, in der seine Vorfahren das Streben, die Glut gar, ihrer Geschlechter auszudrücken verstanden, in die Rhythmen des Wortes, und war das nicht der eigentliche Sinn einer jeden Rede, jedenfalls einer Rede, wie er sie liebte?

XXVIII. - "Und nun schaut Euch um", rief er, um seinen Mitbürgern den tiefen Fall der Gegenwart klarzumachen: "inzwischen ist das Forum von Statuen derart vollgestellt, daß man kaum noch auf ihm herumwandeln kann! Und obwohl das Forum seit Cinna keine größere Menge als uns hier erblickt hat, zähle ich mehr Statuen als Menschen." Leider knarrte seine Stimme jetzt wieder, diesmal vor Selbstsicherheit, aber bevor er das in einem bewußten Akt ändern konnte, entdeckte er neben der Marsyasstatue den jungen Pompeius inmitten seiner picenischen Soldaten - warum warteten sie nicht am Teich des Curtius? War das nicht so vereinbart! Ach, er hatte jetzt nicht die Zeit, darüber groß nachzudenken: "All das geschah erst in den letzten Jahren", fuhr er daher in seiner Beschwörung der Großartigkeit der römischen Sache fort, wobei sich das Knarren seiner Stimme wie von allein zu verflüchtigen schien: "früher standen hier nur ganz wenige Statuen herum, gewöhnlich in Erinnerung an denkwürdige Siege. Erst seit Sulla die Heiligtümer Griechenlands ihrer Statuen beraubte, ist es hier so voll! Ganz Griechenland hat diese selbstgefällige Karikatur eines Feldherrn auf eine Weise ausgeplündert, nach dem Sieg über Mithridates, daß es eine Schande ist - Chios, Erythai und Tenedos: geplündert! und Halikarnassos! Entweiht und geplündert! Auch auf dem Marsfeld und dem Capitol, wo Sulla aus blankem Neid die ehrwürdigen Siegesdenkmäler des Marius nicht nur über Iugurtha, sondern auch über die Kimbern und barbarischen Teutonen hat zerstören lassen, eines Mannes der sieben Mal Konsul gewesen ist - sogar dessen Grab hat er gewissenlos geschändet! - stehen inzwischen so unzählig viele Statuen ohne irgendeinen Bezug zueinander herum, daß der Ausdruck ihrer Gesichter sich dem der in der Stadt noch Lebenden zu überlagern beginnt und manchmal schon der Eindruck entsteht, hier gäbe es nur noch versteinerte Mienen. Wie tot kommen mir die Gesichter in unserem geliebt lebendigen Rom zuweilen vor. Den Kopf soll man diesen Statuen abschlagen, ganz wie Sulla es mit seinen Gegnern getan hat! Ja, statt neben uns am Lacus Servilius den entsetzlichen Geruch Hunderter verwesender Menschenköpfe wahrnehmen zu müssen, würden wir hier dann harmlose Marmorköpfe herumkullern sehen und uns, widerstrebend vielleicht, daran ergötzen. Sulla selbst stellt in seinem Haus in Tusculum solche Statuen nicht auf", rief er, "in seinem eigenen Haus regiert eine aufdringliche feige Schlichtheit, in die er keine Statue eindringen läßt", und jetzt war Aemilius froh, daß Sulla in diesem Moment jetzt nur in jenem Haus war, worin es nicht einmal Statuen gab, er hätte sich kaum getraut, in Sullas Gegenwart so zu reden:

XXIX. - "Nein, nur ein Wandgemälde gibt es dort als Schmuck", spann er seinen Gedankengang fort, "das seinen Sieg vor den Mauern von Nola verherrlicht, bei welchem ihm seine Soldaten in verlogener Schmeichelei den Graskranz als Krone für den größtmöglichsten aller möglichen Siege überreicht haben sollen." Aemilius merkte, daß er den Bogen seines Arguments nun doch überzogen hatte, auch im Bundesgenossenkrieg blieb ein Sieg der römischen Sache schließlich ein Sieg, auch wenn einem der Sieger nicht paßte - nein, er mußte die ursprüngliche Richtung wiedergewinnen und Den Göttern in ihrer Unzahl sei Dank, dachte er, daß ihm dies rechtzeitig aufgefallen war, denn nun würde es ihm gelingen: "Ja, für sich selbst reserviert er die Eleganz eines Gemäldes", behauptete er, "aber die Stadt überschwemmt er mit diesem Statuenmist, an dem sie eines Tages ersticken wird. Und die Teile der Beute, die er nicht diesem Platz oder seinen Soldaten überließ, wurden so sorgfältig in Listen erfaßt, daß wir sie nicht mehr wegschmeißen können, ohne die unseren Staat zusammenhaltende Form der Rechnungsführung zu zerstören. Rom erstickt an diesen Statuen, und mir wird schlecht, wenn ich daran denke, wie sie zusammengeplündert wurden. - Oft schon haben wir hier in Rom Ausländer zu ihren Göttern beten sehen", wieder wunderte ihn die Geschmeidigkeit und das Verführerische, das seine Stimme anzunehmen verstand, seit er begann, das Formgefühl seiner Vorfahren in Rhythmen des Worts zu verwandeln - lag in diesem Glauben ans Formgefühl der eigentliche Sinn seines Protestes gegen die wüste Banalität eines Sulla? Ja, so lange er lebte, zumindest die Stunde, die er hier reden durfte, sollten die Menschen vor ihm die Welt mit seinen empfindenden Augen betrachten, mit einfühlsamer Seele romgemäß fühlen, denken und träumen: "Ja, wie oft schon haben wir in Rom Gäste vor ihren eigenen Göttern in Tränen ausbrechen sehen", wiederholte er, "weil Sulla sie ihnen aus Asien und Griechenland raubte und man sie nur hier noch anbeten kann."

XXX. - "Deshalb habe ich selbst", wurde er praktisch, "wieder damit begonnen, einfache Bilder aufzuhängen. Man hat ja bereits gesagt, Bilder repräsentierten eine sterbende Kunst, aber in Rom beanspruchen Statuen inzwischen so viel Platz, daß man sich als Lebender beengt zu fühlen beginnt. In der Starre der Statuen unterliegt ja das Lebendige dem Toten!" - Ja, jubelte er, gerade dieser Satz war wichtig! Er hatte nämlich das Gefühl, daß Sulla sich Zusammenhang mit Statuen etwas Unheimliches ausgedacht hatte, etwas zugleich ganz Unbenennbares. Nie würde er die verkrampfte Unbeholfenheit vergessen, in welcher Sulla diese Mathilde aufgefordert hatte, sich in die starren Posen einer Statue zu begeben. Ja, überdeutlich sah er sie wieder vor sich, nicht anders als damals hinter den Büschen, in ihrer ganzen Unbeholfenheit, als schiene sie einen grauenhaften Plan anzugehören, gegen den er jetzt vorsorglich etwas tun mußte. Genau! dachte er: Für die Malerei und gegen die Statuen Sullas! Aber war das nicht tollkühn, angesichts so einer brodelnden Menge? Ob man ihm bei dieser für das Wohl Roms jetzt nötigen Reduktion des gefüllten Raums auf nunmehr bloß Flächen noch folgen konnte?

XXXI. - "Quiriten, schaut noch ein letztes Mal auf die Schönheit der Aemilia, unserer königswürdigen Halle", hob er sehr vorsichtig wieder an, doch dann überkam ihn angesichts ihrer plastisch herausgearbeiteten Dreidimensionalität ganz unerwartet eine seltsame Klarheit, und die Dinge erschienen ihm mit ungewohnter Deutlichkeit. Alles vor seinen Augen lebte auf einmal ein intensiveres Leben, die Gebäude des Forums atmeten für ihn und darauf die Menschen, jeder einzelne von ihnen bekam für ihn plötzlich sonderbare Präsenz, nicht einmal die kahlköpfigen Alten dort rechts, die sich auf den oberen Stufen der wohl schon altmodischen, ihnen aber vertrauten niedrigen Säulenhalle der Porcier dann und wann mit gleichmäßiger Bewegung den Schweiß von den blassen Stirnen trockneten, entgingen ihm: "Dort oben unter den Säulen des Obergeschosses, erkennt Ihr eine Reihe von runden Schilden, wie man sie beim Kampf um Troia verwandte", rief er: "darauf könnt Ihr Bilder sehen! Wirkliche, flache Bilder, und keine Statuen! Schon die Punier führten solche bilderversehenen Schilde auf ihren Feldzügen mit. Auf manchen waren die Bilder sogar aus Gold gefertigt. Bei der Eroberung eines carthagischen Lagers in Spanien fand Marcius, der Rächer der Scipionen, ein solches Schildporträt Hasdrubals - lange hing es fortan über dem Tor des Capitolinischen Tempels, jetzt ist es mit ihm verbrannt, und während Sulla so tut, als hätte sein glücklicher Stern das vorherbestimmt, schenke ich Eueren Augen neue Schilde mit Bildern! Natürlich habe ich nicht noch einmal Hasdrubals Bild draufmalen lassen, das wäre ja widersinnig, statt dessen schenke ich Euch Bilder von mir! Bildnisse von mir, damit Ihr erkennt, wie ernst es mir ist mit den Bildern! Denn ich halte mich für nicht weniger tapfer als Hasdrubal, den neben Hannibal Tapfersten unserer Feinde. Und sollte Rom noch einmal Konsuln wählen, bin ich sicher, daß Ihr es mir nicht vergeßt!" Aemilius staunte, wie wenig er sich schämte, seine Tapferkeit eben so unrömisch herausgestellt zu haben, aber auch dem dumpfsten seiner Zuhörer mußte inzwischen klar sein, daß dazu, gegen Sulla eine Rede zu halten, in der Tat eine Tapferkeit gehörte, die selbst ein Hasdrubal nie aufgebracht hätte. Doch er fühlte auch, wie sich im Selbstgefühl dieser Tapferkeit inzwischen ein Rausch seiner Gedanken bemächtigt hatte, der ihn ohne Rücksicht auf sein persönliches Wohlergehen vorwärtstrieb und insofern verwirrte, als er ihm auf einmal fast lüsterne Worte einflößen wollte, rhythmische Worte, jene fast lebendigen Worte, mit denen er manchmal Frauen wie mit liebkosenden Fingern zu berühren verstand, aber dem durfte jetzt in seinem Kampf gegen gerade Sullas Verdorbenheit natürlich nicht nachgeben.

XXXII. - "Nicht daß Ihr denkt, ich wolle mit Hilfe dieser Bilder selbst zum Diktator werden", fuhr er deshalb versachlichend fort: "nein ich folge da bloß einem Anliegen des von Sullas Bautätigkeit verhöhnten Zensor Appius Claudius. Nicht Sulla sondern ich selbst wandele in den Fußstapfen dieses wackersten unserer Vorfahren! Denn er, der Blinde, war es, der in Rom die Sitte einzuführen versucht hat, eigene Porträts auf Schilden an öffentlichen Plätzen auszustellen! Man sagt, er stellte Bilder von sich und seinen Vorfahren sogar im Tempel der Bellona auf (vor dem Sulla neulich Tausende von Samniten, auch sie betrachte ich jetzt als Brüder, abschlachten ließ), ihm gefiel, daß man sie an einem erhöhten Ort betrachten und seine Ehrentitel zu lesen vermochte - jedermann betrachtete das mit Freude und Zuneigung. Darunter hingen sogar kleinere Bilder seiner eigenen Kinder. Dieser nicht nur in seiner Flachheit großartige Brauch geriet in Vergessenheit, und um zu zeigen, wie sehr ich die Erinnerung an den Zensor schätze, habe ich sie erneut eingeführt. Sogar bei mir zu Hause hängen Schilde mit meinen Bildern - Ihr seht, mir geht es wirklich nicht darum, Euch zu beeindrucken, mir ist es sehr, sehr ernst damit." Die Ernsthaftigkeit seines Empfindens erregte Aemilius immer stärker, inzwischen schien jede von ihm erzeugte Reaktion der Menge auf ihn zurückzustrahlen und allmählich fühlte sich irgendetwas in ihm von dieser fortwährend auf ihn zurückstrahlenden Energie erschüttert. Eine kaum merkliche, aber beharrliche Erschütterung von etwas, das bislang notdürftig von der ihm so begehrenswert vorkommenden Flachheit umhüllt gewesen war, von einem jede Tiefe vermissen lassendem idealen Bild vielleicht von sich selbst, und er begriff, daß er unter dieser Erschütterung sein gedankliches Gleichgewicht zu verlieren begann.


XXXIII. - "Quiriten", rang er um die Wiedergewinnung dieses für nicht zuletzt auch die Stadt so wichtigen Gleichgewichts: "Ihr gutgläubigen Lämmchen, die Ihr Ehefrauen ernährt und Kinder aufzieht, aus denen Roms süße Größe einmal bestehen wird!" denn nun vermochte er unmißverständlich nichts mehr gegen diese Erschütterung in seinem Inneren auszurichten, fortan würde sie den Verlauf seiner Rede bestimmen, und "Mögt Ihr hören", rief er, gegen seinen Willen wie von allein vorwärtspreschend, herausfordernd in seine Zuhörerschaft, von jetzt an gab es in der Tat kein Zurück: "was Sulla außer dem Fotzenheiligtum noch alles geplant hat?" - Ja, verloren, dachte er von sich enttäuscht, er hatte den Kampf verloren, und obwohl er doch hier stand, hier und jetzt! sah er sich, endgültig gleichgewichtslos geworden, nun ohne jedes Volumen aber leider auch ohne wirkliche Flachheit haltlos über der Menge schweben - nein, dagegen war nichts zu tun, schrecklich, als habe er sich in einem hohlen, klingenden Körper verwandelt, worin, infolge eines diffusen, ihm unbegreifbaren Willens, verschiedenste, einander ganz widersprechende Resonanzen zu schwingen begannen. Dennoch glaubte er, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen, als er sich ausrufen hörte: "Ärgeres und Schändlicheres als das, was ich jetzt sagen werde, kann man einem Menschen nicht nachsagen - aber es ist wahr! Es ist die Wahrheit, die ganze Wahrheit! Trotzdem traue ich mich kaum, sie auszusprechen, und Ihr werdet Euch sträuben, davon zu hören - Hört, meine Lieben, mir trotzdem zu! Ich selbst hab aus Sullas eignem Munde vernommen, daß er plane, Knaben im zartesten Alter anleiten zu lassen, mit ihm in einer abgelegenen Villa zu baden. Dabei sollen sie ihm zwischen den Beinen durchschwimmen und an ihm herumspielen, seine ‘Fischchen’ will er sie zu nennen, sie sollen ihn dabei beißen und lecken! Zugleich beabsichtigt er, sich von kräftigen, kaum der Mutterbrust entwöhnten Kindern an seinem Glied und an den Brustwarzen nuckeln und saugen zu lassen - es ist mehr als unglaublich! Aber ich habe es mit den eigenen Ohren vernommen! Ja, so sehen die Arten der Wollust aus, mit denen er unser Rom beglücken will, nach seinem endgültigen, nie mehr rückgängig zu machenden Sieg, nur weil er eine von Natur und seinem Alter bestimmte krankhafte Veranlagung dafür besitzt."

XXXIV. - Entsetzt vernahm er die Kundgebung dieses in ihm sich drehenden Willens, der da durch seine Lippen sprach. Er lauschte dem wie einer Stimme, die nicht die eigene war und ein ihm unbekanntes Geheimnis herausschrie, und jetzt griff in seiner Zuhörerschaft ähnliches Entsetzen um sich, vor ihm breitete sich ein Schweigen aus, ein haltlos ewig werden wollendes Schweigen, das nach irgendeiner Lösung geradezu schrie, "Habt Ihr das überhaupt gehört?" durchfuhr er diese Stille mit möglichst maximaler Herausforderung, um seine Attacke dann mit einem leider nur schwächlichen "Er hat es mir selber gesagt!" fortzusetzen: "Für ihn ist das Teil der Entdeckung des neuen Menschen. Die neuen Menschen! Ha! Vergöttlichen wollen sich diese neuen Menschen und dabei stürzen sie in die Unendlichkeit ihres Innen! Fehlt einzig, daß Sulla auch noch die Geschichte dieses Sturzes aufschreiben will und eine Biographie seines Lebens verfassen, wie Marcus Aemilius Scaurus es getan hat, meines Onkels Onkel, den Sulla als junger Quaestor kannte, er ist sogar mit dessen Witwe verheiratet, der allseits verehrten Caecilia Metella. Die leidgeprüfte Witwe leider eines Mannes, der sich als Legat von Iugurtha bestechen ließ, ohne dafür wie andere in Rom bestraft zu werden, weil er so schlau zu reden vermochte. Aemilius Scaurus war der erste, der sich dazu verstieg, eine Darstellung des eigenen Lebens zu versuchen - zumindest der erste Römer. Ein ähnlich unermüdlich tätiger Mensch wie Sulla, parteisüchtig und gierig nach Macht, nach Anerkennung und Reichtum, und gleich ihm in der Lage, seine Laster schlau zu verbergen, wie Sulla hatte er von Metella sogar drei Kinder - ja, das ist der Stoff aus dem Biographien geschnitten sind!"

XXXV. - Flucht, Flucht! machte es in Aemilius, dessen Rede auch ihm selber ersichtlich jetzt jeden Zusammenhang verloren hatte, er plapperte nur noch vor sich hin, um irgendwas von sich zu geben, vielleicht um so diese Leere, diese entsetzliche Leere zwischen ihm und seinen Zuhörern zu überwinden, die sich eben aufgetan hatte. Eigenartigerweise war er aber von sich nicht entsetzt, und gerade vor dem Fehlen dieses Entsetzens packte ihn ein trockenes Grauen, aus dem er in sinnlosem Geplapper die Schandtaten seines Onkelonkels zu beschönigen versuchte: "Immerhin hat uns Aemilius Scaurus eine Straße nach Norden hinterlassen, die aemilianische Küstenstraße, " rief er, "und wenn nicht um das Vaterland, so machte er sich wenigstens um uns verdient, weil wir alle ja schon einmal die Kürze einer Reise auf dieser Straße in Anspruch nahmen, die uns wegen ihrer Hügligkeit zwar nicht bequemer, doch an der Küste entlang deutlich rascher nach Norden zu führen weiß als die alte Flaminische, auf der man einen Umweg über Ariminium in Kauf nehmen muß. Ah, Biographie! Man kann Sulla nur dazu ermuntern, die eigene in Angriff zu nehmen - dann käme die Jämmerlichkeit seiner Schurkenexistenz wenigstens ans Licht! Von der Wiege im Hurenhaus zum gesetzwidrigen Marsch auf unser vergöttlichtes süßes Rom! Eine Biographie! Nicht einmal fünfzig Jahre, nachdem Cato uns eine römische Geschichte geschenkt hat, worin das Wohlergehen des Staates noch als alleiniger Erzeuger der Geschehnisse galt. Und indes Catos Weisheit uns sogar die Namen der handelnden römischen Feldherren verschwieg, brachte Sulla schon Münzen mit einem Bild von sich und seiner Gefangennahme Iugurthas unter die Leute, wo er als Fuchs den Fuchs in die Falle führt. Nie war Rom darauf angewiesen, Goldmünzen zu prägen wie es die Griechen taten. Nur einmal und in der Zeit der allerhöchsten Not geschah es, als Hannibal vor den Toren stand und uns das Silber ausging, nur da prägten wir Goldmünzen. Doch kaum hat Sulla hier im Bürgerkrieg gesiegt, ließ er, sein Münzmeister hat es mir gesagt, der ehrwürdige Marius Capito, heimlich einen Aureus mit seinem Antlitz prägen, dessen Wert gleich ganze 25 Denare beträgt. Ja, die Stadt ist wieder in Not! Sulla heißt es jetzt hier, und Sulla da, überall Sulla! Und ohne daß wir es recht begreifen, wird unsere großartige römische Geschichte zu bloß einem Rauschen, vor dem die Geschichte des großartigen Sulla spielt, die sich ewig wiederholende Geschichte vom neuen, vom aufsteigenden Menschen. Der neue Mensch - daß ich nicht lache!" rief Aemilius aus.

XXXVI. - Aber er lachte gar nicht, er sah den Himmel und die Gebäude des sich verewigenden Roms, und Diese Steine und dieser Sommer, dachte er plötzlich, und selbst Sulla schien auf einmal von seinem Empfinden weit entfernt zu sein, von den Empfindungen, die er gerade allen Menschen dort unten offenbart hatte, was war das mit jenen ‘Fischchen’? - Nie hatte Sulla derartig geredet, warum nur hatte er selbst es und vor all diesen Menschen ausgesprochen? Ihm wurde ganz seltsam zumute. Kam da tief verborgenes Wünschen zum Vorschein, das sich, aufgewühlt durch die Begegnung mit dem Geist dieser Menge, den Weg durch seine Kehle gebahnt hatte? Hatte ihn ein Hauch aus der Zukunft angeweht? Einer Zukunft, worin sich das einst ereignen könnte? Was war das für eine Zukunft? Plötzlich schienen ihm diese Steine und all diese Menschen da vor ihm einer Traumwelt anzugehören, in die er, während er sprach, blickte, ohne auch nur das Geringste davon zu begreifen. Was waren das für Menschen, was waren das für Steine?

XXXVII. - "Und am liebsten ist er mit Schauspielern wie Roscius zusammen, Bücher wollen sie schreiben!" faßte er Sullas Wirklichkeit trotzig noch einmal krampfhaft zusammen, bevor sich sein Denken im Uferlosen verlor: "bildet ein Sulla sich etwa ein, er sei schon deswegen ein neuer Typ Mensch, nur weil er selbst etwas schreibt, ein paar, wie ich höre, harmlose Komödien, und für Malerei und die Bildhauerkunst ein gewisses Gefühl aufzubringen versteht? Quiriten, nehmt Euch in Acht vor solcher Verständigkeit! Sie wird sich leicht selbst zum Gott, der wie Zeus nach Gutdünken den Planeten mit Feuer verwirren kann. Hütet Euch vor Männern mit solcher Verständigkeit! Bald werden sie sich nicht nur für große Dichter halten, sondern gleich noch den besten Wagenlenker unter dem Äther! Neue Menschen, hah! Weg mit diesen neuen Menschen, weg, weg, weg! Weg mit diesem Fischteichbeschmutzer, weg, weg, mit dieser Sau Sulla!" und - Ja, weg mit dieser Sau Sulla, war er sich auf einmal wieder sicher: man mußte den Leuten ganz genau sagen, was man von ihnen wollte, nur dann wird man nicht mißverstanden, aber nun entdeckte er, wie die Oberste Vestalin ihre Lippen verzog - Du dumme Ziege, dachte er, mit deinem Haus, in das kein Mann eintreten darf, ich hab doch gesehen, was für einen sanften Geist du und deine Begleitung haben: bei den Zirkusspielen, wo ihr stets der ersten Reihe sitzt, springt ihr bei jedem Schlag auf und wennimmer der siegreiche Gladiator sein Schwert in den Hals seines Gegners stößt, nennst du ihn Liebling, und hier tust du so, als seist du die Würde selbst, und jetzt bereute er nichts mehr von dem, was er gesagt hatte, denn endlich spürte er wieder den Jubel der Jugend zu ihm emporsteigen, Ah! die Jugend! machte es in ihm, und dieser Vestalin mit ihren verlogenen spitzen Lippen mußte er es jetzt erstmal zeigen, er mußte ihr zeigen, wo sie mit ihrem Getue eigentlich hingehörte, und das tat er dann in einem wohlgesetzen, gut kalkulierten Seitenhieb:

XXXVIII. - "Bürger, erinnert Euch an die drei Vestalinnen, die vor kurzem* Unzucht getrieben haben - wie Ihr wißt, vergruben wir sie gesetzesgemäß bei lebendigem Leib und peitschten ihre Liebhaber mit Ruten auf dem Comitium zu Tode!" und jetzt schaute er die Oberste Vestalin ganz direkt an, - So! dachte er, jetzt sollte sie ruhig einmal sehen, wo sie mit ihrer skeptischen Kopfschüttelei hinkommt! Da hast du es mit deinem verlogenen Lippenverziehen, dachte er, mehr noch beleidigt als wütend, jetzt kannst du dir deine Kalbsasche und dein Bohnenstroh sonstwo hinschmieren - doch mußte er nicht noch auf Mathilde kommen? Was hatte Sulla nur mit dieser Mathilde? So gut sah sie gar nicht aus, warum hat er sie gleich danach umbringen lassen? Er hätte sie sich ganz gerne selbst nochmal vorgeknüpft, und wenn nur, nur um zu sehen, ob an ihr vielleicht doch etwas dran war. Ganz sicher hätte er nicht so ein Aufhebens um sie gemacht, Fotzenheiligtum, ha, ha, ha! da konnte er nur lachen, und lange schon hatte er Philipps Manuskript verlassen, und das war richtig so, es war ja eine Schande, daß man als Römer nicht mal eine eigene Rede schreiben konnte! Aber vieles traute man sich ja nur auszusprechen, wenn es jemand anderes geschrieben hat. Selbst Philipp, immerhin ein Dichter, hat das meiste dieser Rede bestimmt bloß abgeschrieben - keiner ist gern der Schlaumeier, der einen gewagten Gedanken als erster ausspricht - Fotzenheiligtum? Ha! Ha! Ha! Kopf ab!

XXXIX. - "Mathilde war nicht einmal eine Vestalin!" blieb er selbstbewußt bei seiner eigenen Version der Wahrheit - Ja, das war es, was er vergessen hatte: man las nicht, um sich wie Mathilde mit den Schriftrollen den Staub von den Füßen zu wischen, man las, um Stellen zu finden, die man abschreiben konnte! Das war die Wahrheit! Er merkte aber zugleich, daß er hier irgendwas nicht richtig verstand, gerade davon ging indes eine Beruhigung aus, die kaum anders als ein Schlafmittel nun die Reste seiner lebenserhaltenden Ängstlichkeit betäubte: "Und neben so etwas hat Lucius Cornelius Sulla sich gestellt, um seine Geilheit in sich aufwallen zu spüren. - Haarweihe, Haarweihe! hat er ihr zugezischelt, als er versuchte, ihre Haare zu berühren und dabei hat er nur an ihre Schamhaare gedacht. Und sie hat sich ihm nicht einmal hingegeben. Nicht einmal ihre Fotze hat er befühlt! Fotze? Nein, nicht Fotze, sage ich, nicht Fotze! Ich sage Kloake!" - Auf einmal wurde ein verunsichertes Gemurmel hier und dort im Publikum laut, ein Gemurmel des Widerspruchs, glaubte Aemilius es deuten zu können, bei diesem Satz, der auch ihm selbst nun doch etwas zu gewagt schien. Auch die Oberste Vestalin schüttelte zum Zeichen ihrer Mißbilligung wieder scheu den Kopf, und einige der vornehmeren Frauen um sie herum glaubten ihr Entsetzen sogar durch einander anmutig zugeworfene Blicke bekunden zu müssen. Dann aber wurde dieser abgewogene Protest durch jugendliches Beifallsrufen übertönt, das auf einmal von allen Seiten mit brausendem Ungestüm dem dargebracht wurde, der sich mit so offenem Wagemut traute, die Wirklichkeit direkt wahrzunehmen und ohne jede Verstellung, Haarweihe - Ha! dachte Aemilius, um eine Schamhaarweihe war es gegangen! und jetzt gab es für ihn kein Halten mehr:

XL. - "Und während ich in seinem Gesicht nichts als den blöden Blick der Verzückung gesehen habe, entdeckte ich in ihrem kalte Berechnung!" rief er, seinen Gedankengang noch einmal dramatisch verschärfend, hinaus: "als röche sie schon den Gestank, der nach ihrem Tod bis Rom dringen würde, den Gestank, der es durchziehen würde, der es überziehen würde, der einem das Atmen in unserer Stadt unmöglich machen würde, der Gestank, der Rom für die Anständigen und die Guten wenn nicht für immer, so doch für Jahrhunderte unbewohnbar machen würde!" Und als das Gejohle der Menge nicht mehr aufhören wollte, schrie er es in sie hinein, sein nacktes Anliegen, ja er schrie die Wurzel seiner Erhebung gegen das Unmenschliche Maß eines Sulla aus sich heraus: "Entfernt diesen Mann aus dieser Stadt! Weg mit dieser Karikatur eines Romulus! Ihr hättet sehen sollen, wie er sich vor meinen Augen einen runtergeholt hat. Entwürdigend für einen Feldherrn, entwürdigend für einen gewesenen Konsul, entwürdigend selbst für einen Diktator! Und dieses hilflose Geturtel mit dieser Hure Camillas, hah! ‘Fotzenheiligtum! Fotzenheiligtum’, hat er gebrabbelt!" In dem Gejubel der Menge glaubte Aemilius plötzlich unendliche viele andere Mengen zu spüren, in aller Klarheit sah er sie vor sich, zusammengedrängt in großen Theatern und Plätzen, beherrscht von dem Gedanken an Wahrheit und Schönheit, dem Gedanken, den Sulla zerstören wollte, und den er, Aemilius, wieder in Rom heimisch machen würde.

XLI. - "Im zerstörten Praeneste hat, wie Euch bekannt ist, Marcus Lucullus gerade begonnen, das Heiligtum der Fortuna wieder aufzubauen", fuhr er fort, "aber er baut es nicht zu Ehren Fortunas, die unsere Geschicke in ihre unergründlichen Bahnen lenkt. Er baut es zu Ehren von Sullas eigenem Glück! Zu Ehren dessen, der dieses Heiligtum vor kaum einem Jahr bei seiner Zerstörung Praenestes in frevlerischer Anmaßung gleich mitzerstörte! Und steht das Heiligtum von Anxor oberhalb Tarracinas in seiner Neuheit etwa nur zufällig genau an der Stelle, an welcher Sulla an Mathildes Fotze hatte fassen wollen? Versteht Ihr, was das bedeutet? Es ist das Fotzenheiligtum! Ja an diesem uns, weil dort im dreizehnten Jahr des punischen Kriegs der Blitz eingeschlug*, heiligen Ort baut Sulla nämlich bereits an seinem Fotzenheiligtum!" - Ah die unendlich vielen Mengen, dachte er wieder, die sich vor ihm anderen begabten Rednern geöffnet hatten, und wurde in ihrem Gejohle ganz ruhig. Stumm und entspannt stand er plötzlich vor dem Bühnenraum der Geschichte, hinter dessen Größe sich so viele unverstandene Leben verborgen hielten: "Ja ein Heiligtum, an der Stelle, an der er ihr zwischen die Beine fassen wollte!" sprach er das Ungeheure eine Spur milder aus und spürte er in sich den Glanz, den ein unsterbliches Wort ausstrahlen konnte: "Ein Fotzenheiligtum!" wiederholte er ungewollt andächtig dieses ungeheure Wort, und gegen seinen Willen jubelte nun auch sein Inneres vor Entzücken, bis in all diesem Gejubel auf einmal auch der Verdacht entstand, daß das, was er hier von sich gab, im Grunde nicht nur abstruses, sondern schon ganz verworrenes Zeugs war, und Ich ficke, du fickst, er fickt, wir ficken! wollte er plötzlich statt dessen hinausschreien: Wir alle ficken! um durch das Prinzip der Konjugation wenigstens etwas Ordnung in diese wirre Welt der Gefühle zu bringen, der er auch selbst unterlegen war, gerade noch rechtzeitig bremste er den verführerisch logischen Fluß dieser Worte und besann sich auf eine andere ihm nahegegangene entsetzliche Wirklichkeit - "Und an genau der Stelle, wo dieses Gebäude steht, stellte er sie bei ihrer Hinrichtung auf Kalksteine zwischen Pferdeäpfeln!" fuhr er empört fort, und: "Der liebe, allerliebste Lucius Cornelius!" verfiel er in eine ihm fremde, spöttische Zärtlichkeit, um dann zu einem scharfen und entschlossenen Schluß zu gelangen:

XLII. - "Überheblich mißbrauchte er sein Amt wie der Zehnermann Appius Claudius! Wie jener Zehnermann, der gegen den Besitz, den Leib und das Leben seiner Mitbürger wütete, der ein Verächter der Götter und Menschen war, sein Sinnen nur Raub, Mord und der Wollust zugewandt und dabei von Henkern und nicht von Liktoren umgeben, strebte er die Diktatur nicht nur an, sondern er erreichte sie auch, und so soll er auch gleich jenem Zehnermann in unseren Kerker geworfen werden! - Quiriten, schaut hinter mich", und jetzt war Aemilius heilfroh, daß er eben nicht ‘Wir alle ficken!’ herausgeschrien hatte, sondern daß er nun stattdessen neben dem Kerker, der einst dem berüchtigten Zehnermann als letzter Aufenthaltsort diente, nunmehr den älteren, den vernünftigeren Lucullus inmitten ein paar seiner Soldaten entdeckte, Lucius Lucullus, der extra aus Asien herbeigeeilt war, um ihnen dabei behilflich zu sein, die Diktatur Sullas zu beenden. - "Dort neben dem Kerker", wies er auf diesen, "beginnen die Arbeiten an einem weiteren Gebäude, womit sich diese Ausgeburt verewigen möchte. Keiner auf dem Forum wird es übersehen können, von überall wird es sichtbar sein. Sulla! sollen alle denken, die es sehen: Sulla hat es gebaut! Jedem, der auf dem Forum spazierengeht, wird sich der Name Sulla aufdrängen, Sulla! und noch mal Sulla! Ich würde mich nicht wundern, wenn, wie von Carbo verkündet, tatsächlich herauskommen sollte, daß Sulla den Capitolinischen Tempel hat selber anzünden lassen, um ihn durch einen eigenen Bau zu ersetzen. Dieser Mann ist nicht nur in meinen Augen größenwahnsinnig. Nur der versammelte Protest aller mit der Heiligkeit Verbundenen bewirkte, daß der Tempel des Iuppiter optimus maximus nun doch wieder aufgebaut wird, Sulla selbst hielt die Errichtung seines eigenen Gebäudes ja für ausreichend, um die entstandene Leere zu füllen. Doch sogar beim Betrachten des neuen Iuppitertempels wird sich jetzt der Name Sullas in den Kopf der Betrachter schmieren! Jeder wird die beiden nebeneinander stehenden Gebäude automatisch vergleichen, und dann wird es Sulla! in seinem Kopf machen, Sulla, Sulla, und noch einmal Sulla! Ja, Quiriten, Bürger Roms! Dieser Mann ist größenwahnsinnig, Lucius Cornelius Sulla - größenwahnsinnig!" Und jetzt erkannte Aemilius, daß er sich in eine Klarheit der Äußerung über die tiefsten Motivationen menschlichen Handelns hineingeredet hatte, die Rom noch nie wahrgenommen haben konnte - gerade das Klare daran wurde ihm aber plötzlich irgendwie peinlich, und so fuhr er, zumal er bei einem Blick auf die Sanduhr entdeckte, daß er seine Redezeit noch nicht einmal zur Hälfte ausgenutzt hatte, diese Klarheit absichtlich wieder ein wenig verwirrend, fort:

XLIII. - "Ihr wißt, daß er in der Gegend der ehrwürdigen Stadt Pompeji zehntausend Cornelier ansiedelte, von ihm freigelassene und daher nach ihm benannte Sklaven seiner umgebrachten Gegner. Kaum hatte er dies getan, fühlte er sich veranlaßt Pompeji umzubennen! Nicht mehr Pompeji soll es jetzt heißen wie es jahrhundertelang geheißen hat, sondern stattdessen ab jetzt Colonia Veneria Cornelia. Nun, ihr mögt fragen: Warum soll er denn nicht Städte nach sich und der Venus benennen? Was hat das mit uns zu tun, das ist doch weit weg, jenseits noch des grollenden Vesuvius. Aber das ist der Anfang! antworte ich, seine kloakenschändende Venus wird unter dem Zeichen des Namens Cornelius unsere Zukunft mit ihrer Allgegenwart verpesten!" Und jetzt spürte er im Verrinnen seiner Redezeit befriedigt den verhängnisvollen Atem der Ewigkeit, gespenstisch lauerte er gleich hinter seinen Worten und vor genau diesem Atem würde er Rom retten müssen: "Auch hier in Rom! In Wirklichkeit plant er, sein Gebäude hier auf dem Capitol ebenfalls zu so einem Fotzenheiligtum werden zu lassen, zu einer Stätte - ich wage den Zweck dieses Gebäudes hier hinter uns, kaum in den Mund zu nehmen! - brutalster Jungfrauenschändung! Sollte sich aber seine Fertigstellung, bald wird nämlich so etwas in jeder unserer Städte stehen, nicht verhindern lassen und ich trotzdem einmal Konsul werden, so verspreche ich Euch, daß der Name Sulla nicht mehr schändlich mit diesem Gebäude in Verbindung gebracht werden kann. Vielleicht werde ich Salz darin lagern lassen, dann könnte man es als Salzhaus bezeichnen; oder wir bewahren, da es nun einmal da ist und wir es wegen seiner viel zu soliden Bauweise nicht wieder abreißen können, eine genaue Listen seiner Schandtaten und ähnliche Tabellen darin auf, dazu vielleicht unsere Gesetzestafeln und die fast schon unglaubhafte Menge, diese Unmenge möchte man beinahe sagen, von Staatsdokumenten, die sich im Lauf unserer ruhmreichen Geschichte angesammelt hat: dann würde es für uns zum Tabellenhaus* - der Name Sulla jedoch möge vergessen sein! Und zwar nicht nur von uns, Quiriten, vergessen, mehr noch soll er vor der Geschichte in Vergessenheit geraten! Ja, Bürger, Quiriten, Ihr Lämmer Roms: Hiermit übergebe ich Lucius Cornelius Sulla der nie jemals wieder rückgängig zu machenden Verdammnis der Geschichte!" Auf einmal brandete rauschender Beifall von allen auf, ach das war befreiend, aber wieso beklatschten sie jetzt schon so eine Trivialität wie das Tabellenhaus? Aber nun wurde dieser allgemeine Beifall von einem jugendlichem Jauchzen übertönt, das gleich einem Orkan zu ihm aufstieg - die Jugend, die Jugend! - ja es stieg auf zu ihm, der vor den unruhigen Augen der Jugend eine so große Hoffnung aufblitzen ließ, zu ihm, der einen so leuchtenden Glauben an den verborgenen Genius der Stadt bewies, an die aufsteigende Kraft der von den Vätern erzeugten Ideale, und an die souveräne Würde und unzerstörbare Macht des Geistes, der nicht gebrochen wurde, wenn man ein paar Statuen die Köpfe abschlagen würde, an all die hohen Werte, die die Barbarei eines Sulla verachtete.

XLIV. - "Noch sieht man erst die in einer ekligen neuen Bauweise gearbeiteten Treppen", kehrte er im Einklang mit diesen Gefühlen ins Reich der Tatsachen zurück, "die an diesem Tabellenhaus vorbeiführen, und dort, rechts neben der Treppe, dort wohin die letzten Strahlen der Sonne scheinen, da ist der Ort, an den ein Sulla jetzt hingehört - ins Tullianum, unseren von aller Welt zurecht gefürchteten, traditionsgefüllten Kerker!" und wieder freute er sich dort am Anblick des älteren, des wohlgeratenen Lucullus - der jüngere war so in seine Bautätigkeit für Sulla vernarrt, daß sie ihn nicht hatten gewinnen können. - "Ja, in unseren durch Tradition geheiligten Kerker, wo schon der schändliche Zehnermann verendete, seines Onkels Onkel Onkel-Onkel, und Iugurtha, der Fuchs, der dort fast verhungerte, bevor Marius ihn in seiner Güte endlich zwischen zwei Ästen erdrosseln ließ! Ja, dort, wo das Opfer seines ersten öffentlichen Erfolges verendete, soll auch Sulla verrecken, das nennen wir Römer eine vollendete Gestalt! Das nennen wir Römer Glück und Gerechtigkeit! Aber wir werden ihn weder verhungern lassen, noch ihm den Freitod gönnen wie dem Zehnermann Appius, nein!" und jetzt machte er eine schnell überlang wirkende Pause, um in deren plötzlicher Richtigkeit seinem nächsten Gedanken zu optimaler Wirkung zu verhelfen:

XLV. - "Nein, Nein, Nein!" fuhr er deutlich dramatisierend fort, und "Nein! Denn als erstes werden wir ihm ein Drittel seines Schwanzes abschlagen!" rief er aus und erkannte in dem sofort einsetzenden begeisterten Gebrüll der Jugend die unendlich vielen anderen Mengen aus allen Theatern und Plätzen der Welt, die wie er dem Gedanken an Wahrheit und Schönheit verpflichtet waren: "Ja, erst schlagen wir ihm ein Drittel seines Schwanzes ab!" wiederholte er: "und dann soll man sich die grausamsten Folterungen ausdenken, die Menschen sich ausdenken können - die Schäden, die er Rom zugefügt hat, sind zu gewaltig für einen einfachen Tod. Hah, zu gern würde er sich nur den Kopf abschlagen lassen, damit wir ihn hier vor der Rednertribüne ausstellten. Und nun vernehmt Folgendes: Neben dem Zelt, in dem er sich über diese Matilde hermachen wollte, hatte ich eine Aphroditebüste zu stellen. Aber statt sich dann in diesem Zelt dann wirklich über sie herzumachen, wie es ihm das Feldherrnprivileg schließlich erlaubte, hat er sie nur vor dieser Aphroditebüste nur von hinten an den Bauch gefaßt. Warum er das gemacht hat? Wer will es wissen - er weiß es vielleicht nicht einmal selbst! Aber er faßte Mathilde genau in dem Moment an den Bauch, als sie die Büste der Aphrodite betrachtete - er faßte sie von hinten an ihren Bauch! An den Ort ihrer Fruchtbarkeit! Mit diesem Griff hat er sich, obwohl er doch mit der bewunderten Caecilia Metella glücklich verheiratet ist, erneut an Venus vergangen, der stammväterlichen Venus dieses Mal, die er auf diese Weise ebenfalls zur Cloacina machte - das kostet ihn ein weiteres Drittel von seinem Schwanz!"

XLVI. - Der Aufschrei der Menge, der diesem mit äußerster Kraft von ihm mehr herausgekreischten als heraus gerufenen letzten Satz folgte, erschütterte ihn bis in sein Mark, dieser Schrei war ein so deutlicher Ausdruck eines inneren Aufruhrs, daß es ihn gegen seinen Willen erschreckte, aber er durfte jetzt nicht mehr innehalten: "und weil er sich weiterhin ungeniert Epaphroditos nennt, den Liebling der Aphrodite", setzte er den aus ihm hervorquellenden Anklagestrom fort - ja genau, erstens, zweitens und schließlich drittens! erinnerte er sich nebelhaft einer - wie weit schon zurückliegenden? - vernünftigeren Existenz: "und als Rechtfertigung dafür seinen Traum von der siegbringenden Venus mit Schwert anführt, den er sich vom delphischen Apoll durch Bestechung hat bestätigen lassen, darum hat er sich an der siegbringenden Venus gleich mitvergriffen!" Nun wurde die Menge noch wilder, und Zugaben forderten sie, schon fast wie beim Wagenrennen, ja er würde ihnen jetzt diese Zugaben geben, dachte er: "Jene drei der Unzucht erlegenen Vestalinnen haben wir lebendig begraben", rief er, doch wieso lächelte die Oberste Vestalin ihn jetzt an? Nach diesem Satz hätte sie eigentlich die Lippen verziehen müssen, sie durfte ihn doch nicht anlächeln, lief da was falsch? Doch dann begriff er, daß es ein freundliches, ein zustimmendes Lächeln war - ja! jubelte er, er hatte auch sie gewonnen, hatte sogar Roßblut, Kalbsasche und Bohnenstroh auf seine Seite gebracht! und Ah! dachte Aemilius erleichtert, jetzt noch eine letzte Anstrengung, und dann wär es soweit:

XLVII. - "Und so haben wir hier einen einzigen Mann vor uns", rief er aus: "Lucius Cornelius Sulla! Einen einzelnen Mann, der Verbrechen für hunderte beging und sich dann, als sei das nicht genug, auch noch an allen drei Arten der Venus gleichzeitig vergangen hat! Und weil er dies mit einer Dienerin Camillas tat, der Gefolgsfrau der keuschen Diana, welche er nicht einmal vergewaltigte, bevor er sie hinrichten ließ, so daß sie gemäß unserer Zwölftafelgesetze noch Jungfrau war - damit hat er das allerhöchste aller unserer römischen Gesetze verletzt: das nämlich, das uns verbietet, Jungfrauen hinrichten zu lassen!" - Ah, jetzt war er sich des Beifalls der Obersten Vestalin ganz sicher, doch komischerweise schien sie dieses Mal weniger begeistert zu sein - wie nur sollte er die Frauen verstehen? Aber dann verlor sich solche belanglosen Zweifel in dem allgemeinen Gekreische unter ihm, und so schloß er sein Urteil über diesen Frauenschänder mit einem grell herausgeschrienen "So einer wie Sulla kann, darf und soll nicht länger Diktator sein - Das kostet ihn das letzte Drittel von seinem Schwanz!" und in der hysterischen Begeisterung, die nun entstand, wurde er, der Verursacher all dieser Erregung, plötzlich im Innersten von seinem Verursachen erschüttert, doch auch die Oberste Vestalin lachte jetzt mit den anderen, ja ganz Rom freute sich mit ihm, daß er es endlich ausgesprochen hatte und daß sie Sulla bald loswerden würden, und eine Woge plötzlicher Traurigkeit übermannte ihn, als er an die Asche auch der gewaltigsten Feuer dachte - ja, so ein Feuer hatte er heute erzeugt, hatte er gerade erzeugt, und er dachte an das grausame Erwachen des kommenden Tages, aber dann wären sie diesen Sulla endlich los, und "Vorwärts, Römer!" stachelte er sie jetzt zur seit urdenklichen Zeit gleichen Tat aller Taten an, "Ihr Lämmer! Ihr Männer der Tat! Laßt Euch von diesem Fischteichbeschmutzer nichts mehr gefallen!" und dann merkte er, daß er seine Redezeit noch gar nicht ausgeschöpft und er noch so unendlich viel mehr zu sagen hatte, er hatte doch versprochen, seine Redezeit weit zu überziehen, ja, er wollte es und er konnte es! Und so redete er und redete, und dann endlich schritt er an jenem in seiner Wärme doch recht gefälligen Abend des damals in Art seiner Vorfahren noch schlicht quintilisch genannten Monats zur Tat aller Taten.


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