Durs Grünbein

SULLA ODER DAS V-HEILIGTUM

BEMERKUNGEN ZU EINEM FILM VON KLAUS WYBORNY


Ich bin kein Cineast. Auch wenn ich mittlerweile wohl hunterte Filme gesehen habe, zumeist mit wenig Appetit und fast jedesmal heimlich bestürzt über den hohen Rauschanteil der meisten und meine blöde Empfänglichkeit für jeglichen Bilderreiz. Im Grunde meines Herzens bin ich ein Leser, das heißt ein Mensch, der erst im Spiegel des Geschriebenen sich begreift, sein Ich gekettet an den immer wieder entschwindenden Text. Der Streifen aber, von dem hier gesprochen wird, ist mir als einer der radikalsten in Erinnerung geblieben, gerade weil er mir wie ein Buch entgegenkam. Die Rede ist von Klaus Wybornys Film "Sulla" nach dem gleichnamigen Roman des Autors, 2002 uraufgeführt.

Im Mittelpunkt steht eine Figur aus der römischen Geschichte, eine markante Erscheinung: der Prototyp des modernen Feldherrn und politischen Abenteurers. Lucius Conelius Sulla, geboren 138 und gestorben im Jahre 78 vor Christus. Was man von ihm wissen muß, ist, daß er die längste Zeit seines Lebens Kriege führte, die meisten siegreich. Unter anderem schlug er den Schwarzmeerkönig Mithridates VI. zurück, den gefährlichsten Widersacher Roms seinerzeit. Als man ihn um den verdienten Triumph bringen wollte und seinen Posten als Konsul, warf er das Heer nach Italien zurück und ging zum Bürgerkrieg über. Später handelte er mit dem Erzfeind vom Pontos einen Frieden aus, reorganisierte die Verwaltung der asiatischen Provinzen und herrschte bis ein Jahr vor seinem Tod in Rom als Dikatator. Er war ein Haudegen und gleichzeitig ein Schöngeist, manisch, ein Tatmensch, hochkultiviert, der 22 Bände Memoiren schrieb, eine Schwäche hatte für Aphrodite, die Göttin, und sich als Baumeister, Rechtsexperte und Philospoph aufspielte, wo immer es ging. Ungeklärt bleibt, was Julius Cäsar gemeint hat, der ihn einen politischen Analphabeten schimpfte. Sulla gilt als derjenige, der den Baustoff Zement in die Architektur eingeführt hat und die flächendeckende Betonbauweise. In seine Zeit fällt die Erfindung der Dusche, auch Das hängende Bad genannt. Seinen Zeitgenossen blieb er ein Rätsel. Der Mann war, selbst für antike Verhältnisse, was man einen Exzentriker nennt. Wie es weiterging mit der Macht, kann man bei Sallust lesen in seiner Studie über seinen Nachfolger "Die Verschwörung Catilinas".

Vor kurzem stieß man in der Zeitung auf folgendes Fundstück. Unter der Überschrift "Sullas Rückkehr" stand da: "Nahe der Kleinstadt Orchomenos bei Athen ist ein römsich-antikes Siegesmal entdeckt worden. Es ist dem Sieg des Imperiums über den Schwarzmeerkönig Mithridates gewidmet. Das rund zwei Meter große Marmor-Denkaml sei 86 vor Christus geweiht worden und zeige mit Brustpanzer und Helm ein klassiches Trophainon, teilte das Athener Kulturministerium mit. Patron sei der römische Feldherr Lucius Cornelis Sulla gewesen, der Mithridates bei Athen besiegte. Das Denkmal soll im kommenden Jahr restauriert und zur Besichtigung freigegen werden."

Das also ist der Mann. Wie aber kommt eine Gestalt wie diese in einen deutschen Autorenfilm? Soviel ist sicher: in der jüngeren Filmgeschichte ein singulärer Fall. Das Sandalen-und Toga-Genre ist, sieht man von Hollywood-Schlußverkäufen wie "Gladiator" und "Alexander der Große" ab, entweder mausetot oder es kehrt allenfalls noch als Lachnummer wieder, in Form der Parodie. Erklären läßt sich ein Projekt wie dies sich nur mit dem Interesse des Autors und Regisseurs Klaus Wyborny für den Modellcharakter dieser antiken Figur.

Geschildert wird, minutiös und in voller Spielfilmlänge, ein Tag aus dem Leben des Sulla. Es ist die entscheidende Stunde seines Lebens, der Moment, da der Feldherr auf seinem Marsch nach Rom innehält und die Zeichen befragt. Der Ort: ein Pinienhain in der Nähe von Tarracina, es gibt ihn noch heute. Er entzieht sich den Blicken seiner Soldaten, um ungestört seinen Betrachtungen nachzuhängen und dabei kommt er auf allerlei feuchte Gedanken. Ein innerer Monolog setzt ein, gegliedert in sieben Kapitel, nach Art der Traktate, wie man sie von römischen Schriftstellern kennt, von Cicero und Seneca, auch sie philosophierende Politiker: "Von der Baukunst" etwa, "Über Ehe und Familie" und "Von der Leidenschaft". Vorgeführt wird, mit einem Wort: das klassisch angewandte Denken.

Aber wie zeigt man das? - Indem man die Kamera so ruhig wie möglich auf Schauplatz und Gegenstand konzentriert. Der Zuschauer sieht die allmähliche Verfertigung eines Films aus dem Fluß der Gedanken. Was er vor sich hat, ist ein Leinwandgebilde im Stil des Nouveau Roman. Dieselbe Experimentalmethode beschreibender Akribie, dieselbe Erzähltechnik einer Fixierung aufs Detail. Und ihr Effekt ist die Dehnung der Zeit infolge der Verlangsamung des Satz- (in diesem Falle Bild-) Rhythmus und seiner Anpassung an den realen Wahrnehmungsfluß des Lesers (hier des Betrachters) in seiner unmittelbaren Gegenwart. Ein literarischer Film mithin, aber nicht im Sinne der Literaturverfilmung, sondern dem Lektüreprinzip nach. Bild, Schnitt und Sequenz fallen dieselben Aufgaben zu, die in einem Prosawerk die Kombination der Worte, Interpunktion und Satzbau zu leisten haben. Die Kamera bleibt gewissermaßen in fortwährender Schreibbewegung. Worte und Bilder - Wyborny hat das Grundgesetz ihrer Differenz einmal so formuliert: "Bilder von physisch realen Objekten sind ihrer Natur nach viel polyvalenter als Worte, die diese beschreiben. Denn die Objekte sind notwendig Teil einer realen Welt, die bei der Abbildung mitabgebildet wird." Essentiell ist aber auch die Funktion der Sprecherstimme; es ist die des Filmautors selbst. Produktion, Buch, Regie, Kamera, Musik und Schnitt, alles lag hier in einer Hand. Wyborny ist etwas Außerordentliches gelungen: ein Film, der sich wie ein Buch lesen läßt. Es hat daher seine eigene Logik, wenn der Autor empfiehlt, man möge sein Werk kapitelweise betrachten, womöglich mit Unterbrechungen.

An dieser Stelle sei erwähnt, daß Klaus Wyborny seit vielen Jahren an einem Riesenwerk schreibt, einer "Comédie Artistique" - also Künstlerkomödie, breit angelegt in zwölf Bänden, in der ein Mensch zu Wort kommt, ein unruhiger Weltreisender, Erotomane und loser Artist, der in einem wild entfesselten Redestrom vorführt, was es heißt, im wahrsten Sinne des Wortes erkenntnisgeil zu sein. Ein wenig von solcher Obnsession schimmert auch in "Sulla" durch. Auch hier gibt es das Motiv der Frau, die als Domina, Halbgöttin, Sexualphantasie den Helden in Trab hält. Begehren ist bei Wyborny ganz klar eine Form des Slapsticks, selbst wenn es sich nur im Kopf abspielt, es erzeugt seine eigene Situationskomik, die identisch ist mit Wybornys Art von Humor. Im Film ist er präsent in Gestalt einer gewissen Mathilde, der Sulla einen Tempel errichten will zu Verherrlichung dessen, was bei den Römern cunnus hieß und bei uns die weibliche Scham. Die Fotze, das ist es. Wie von den lästigen Pferdeäpfeln rings um ihn her, wird Sulla immer aufs neue abgelenkt von den Gedanken an sie, die bewußte Stelle, den Riß im Gewebe der Welt. Hier, vorm Dunkel des Fleisches, werden die kühnsten Pläne zuschanden. Der Schoß ist der Ort, an dem alle Dialektik zu delirieren beginnt.

Wer ist diese Mathilde, von der die Annalenschreiber uns nichts überliefern? Im Film figuriert sie, nach einer Aussage des Autors, als Allegorie für das unterworfene Griechenland. Sie steht für eine ältere, feinere, aber auch unterlegene Kultur, die nun von Rom unterjocht wird. Griechenland liegt entweiht und politisch geschwächt, aber Sulla will ihm, in Gestalt dieser Frau, ein Denkmal errichten. Derselbe Sulla, von dem es heißt, daß er der erste war, dem man in Rom ein Reiterstandbild verehrte. Sein Gehirn prahlt vor sich hin in der Mittagshitze dort am "Berg der Circe". Er will für Mathilde ein Heiligtum bauen, ein Fotzen-Heiligtum, aus dem dem brandneuen Baustoff Zement, mit dem er in seiner Amtszeit halb Italien überzog. Wo Fleisch war, soll Stein sein!

Um solcherlei Oppositionen kreist Klaus Wybornys Film. Es geht um Rom und Griechenland, um das männliche und weibliche Prinzip in der Geschichte. Es geht um Ordnung und Pornographie, Eros und Thanatos in Form eines Gedankenexperiments. In wenigen Zeichen und Bildern, die beharrlich wiederkehren, entwickelt seine Ästhetik ihr fundamentales Thema. Er zeigt das Heroische als Urgrund des Komischen, die Sexualität an den Wurzeln der Macht. Es ist ein Traktat über das Begehren, ohne daß ein Stück nacktes Fleisch auf der Leinwand erscheint. Ganz nebenbei ist der Film ein Plädoyer gegen jedes Entweder-Oder-Denken in Geschichtsschreibung und Moralphilosophie. In seiner erzählerischen Strenge erinnert er an Hermann Brochs "Der Tod des Vergil", in seiner Verfremdungstechnik an die großen Filmessays von Straub und Huillet.

Sein insgeheimes Motto stammt aus vorsokratischer Zeit. Es lautet: "Sein ist - jemandem erscheinen".

Durs Grünbein

März 2005


copyright 2005 Durs Grünbein

(Leicht überarbeitete Einführung zu einer Projektion von "Sulla" in der Volksbühne Berlin am 1.2.2005)