Dietrich Kuhlbrodt über "Dämonische Leinwand"

(in Filmkritik 3 / 70, Seite 156 f.)


So beginnt der Unterfilm "William":

Musik: Vivaldi

Text:: Ein Film, der Freude macht, ein Film, der Geschichten erzählt, ein Film von einer Poesie, von der wir früher nur träumten. Ein Film von der Liebe und über den Tod und voll der Trauer, die wir in uns tragen.

Musik: Laurel und Hardy

Text: Rosenrot ging die Sonne über dem Grand Canyon auf, und William war voller Liebe für Janine, und gegen Abend löste sich ihr verborgenes Lächeln im Fieber.

Musik: Chopin

Eine erlesene Einstellung daneben. Überlandleitungen. Ein Mast vor hellblauem Himmel. - Das Bild wird fertiggemacht. Kaputt.

So beginnt der Unterfilm "William Parmagino's":

Text: Dieser Film wurde zu einer Zeit, die nicht die unsrige ist, auf einem Schrotthaufen bei Nanterre gefunden. Er erzählt vom verzweifelten Versuch einer Gruppe von Menschen, sich in die Regeln zu fügen, die ihnen von anderen aufgezwängt wurden. E.P.

Und so sieht der Schrottfilm aus: projizierte 8mm-Aufnahmen mit einer 16mm-Kamera aufgenommen, inclusive einer großen schwarzen Fliege, gelegentlich seitenverkehrt oder Scopeaufnahmen im Normalformat. Denn: die William-Episoden spielen die Rollen von Spielfilmen im Bordkino des Raumschiffs. Zu sehen sind in Farbe das Domcafé Hodermann und in Schwarzweiß die Ansätze zu einer Spielhandlung, die ich im ersten Teil der "Dämonischen Leinwand" gesehen zu haben meinte. Aber die 'hnlichkeit täuscht: die damals nicht verwendeten Takes zerfallen hier zu Fragmenten: sie fügen sich in Regeln, die ihnen von der Brucknermusik aufgezwängt werden //Anm. des Herausgebers: bezieht sich auf die erste Fassung von Chimney-Piece, in der Bruckners Musik den Bildern unterlegt wurde, auf der DVD der Gesamtedition unter dem Titel "Das größte Verbrechen aller Zeiten" als Bonuzsmaterial enthalten//. Ds konstante Auf- und Abblenden setzt die Bruchteile wissenschaftlicheinwandfrei: saubergrau voneinander ab.

Damit ist es zu beweisen: Wybornys sechsstündige "Dämonische Leinwand" ruiniert sich selbst in ihrem Verlauf.

Denn: Filmmacher Wyborny liebt den Film, nicht aber die Dämonie der Leinwand. Der Terror des Typs, der inem von der Leinwand her Geschichten erzählt, wird gebrochen, "Auf zu den Sternen" beginnt damit. Auf einem Sofa stupsen welche einander mit dem Finger auf die Nase. Text dazu: "Kurz danach verließen sie ihren Zielort, um zur Erde zurückzukehren." -- Der Text unterlegt hier den Bildern einen Sinn, den sie von sich aus nicht entwickeln. Die Aufnahmen in einem alltäglichen Zimmer werden als Marsreise betextet.

In den William-Bordkino-Filmen wird das höfliche Miteinander zur Belästigung: Wort und Bild arbeiten gegeneinander, stören, zerstören sich. In der "Heimker nach St.Pauli" schließlich war die Wortattacke erfolgreich gewesen. Das Bild, vom Sinnträger befreit, entfaltet sich: Überblendungen, verlangsamte Bewegungen, Unschärfen, Autofahrten, Siedlungshäuser, jemand haut mit einer Bierflasche auf den Rasen. Wiederholung und Wiedererkennen der Heimat.

Begründung für die Behauptung, daß Wyborny den Film liebe. Negativ: er gebraucht den Film weder dazu, Zuschauern eine Geschichte aufzuoktroyieren, noch gebraucht er ihn dazu, Zuschauern Strukturen udn Muster zu offerieren. Der Film ist ihm nicht Objekt. Positiv: Subjekt Wyborny teilt sich in der "Dämonischen Leinwand" mit, sich und seine Beziehung zu den Dingen. Da er keine Anliegen hat, verschafft er dem Zuschauer freien Raum, die Beziehung zu dem, was Wyborny liebt, selbst herzustellen: was bedeutet, daß man dabei eine gleiche, eine ähnliche oder eine ganz andere Erfahrung machen kann. Die Geschichten lassen sich entwickeln.

Wyborny hat das Material zusammengebaggert. Was zählt, ist die Beziehung dazu und dazwischen. Zwischen Wort und Bild, zwischen den teilen des Films, zwischen der wachsenden Erfahrung, die ich beim Ansehen des Films mache, zwischen mir und dem Film, zwischen mir am Anfang und am Ende des Films. -- Das hört sichjetzt ziemlich metaphysisch an. In Wirklichkeit wird es auf dem Wege zum Freiraum gehörig poetisch: ein höchst sensibles Unterfangen, da diese Poesie sich nicht vollziehen, sondern nur erfahren läßt. - Dietrich Kuhlbrodt


dazu als Information //nur z. T. korrekt, genauer in "Frühe Filme" dargestellt - der Herausgeber//

"Dämonische Leinwand". 1966 bis 1969. 350 Minuten. Synchronisiertes Tonband, Farbe und s/w. -- I. "Auf zu den Sternen" Normal 8mm. 80 Minuten -- II. "Dämonische Leinwand" 8mm. 80 Minuten. Dreifachprojektion. (Fassung "Das größte Verbechen aller Zeiten" von 30 Minuten) - III. "Das abenteuerliche aber glücklose Leben des William Parmagino" 16mm. 90 Minuten. Dichterlesung. (Fassungen "William Parmagino's" 15 Minuten und "William" 6 Minuten) -- IV. "Heimkehr nach St. Pauli". Tonband. Normal 8mm. 100 Minuten