K.Wyborny

HANNS ZISCHLER: "Kafka geht ins Kino"


Einführung zu einer Lesung H. Zischlers im Literaturhaus Hamburg am 17.9.96

 

Guten Abend, meine Damen und Herren, ich freue mich, Sie hier zu sehen und Hanns Zischler begrüßen zu können, und möchte Frau Keller für die Gelegenheit danken, ein paar einführende Worte zu seinem neuen Buch sagen zu dürfen. Nun gut also: "Kafka geht ins Kino" - wer mit der feschen Alliteration dieses Titels, der so suggestiv zwei spektakuläre Erscheinungen unseres Jahrhunderts verknüpft, unbedingt etwas Abgeschmacktes verbinden will, von vornherein also schlimmstes Feuilleton, dem wird, sobald er das Buch in der Hand hält, eine Überraschung bereitet, gleich bei der für das deutsche Verlagswesen unüblich liebevollen Bebilderung - es fällt sofort auf, daß es in diesem Falle nicht so ist. Ungleich anderen Künstler-Biographen, die wegen der Unmenge an Tratsch und Tatsachen, die ein halbwegs dokumentiertes Leben umgeben, nicht umhin können, aufs Gröbste zu stauchen und zusammenzustreichen, so dass sich ein verkleinertes Bild des Künstlers ergibt, ein Modell von ihm, das uns beim Wahrnehmen seiner Werke vor Augen stehen kann, mußte Zischler bei dem von ihm gewählten Thema fast notwendig andersherum vorgehen. Die geringe Menge des dazu auffindbaren Materials zwang zu einer gewissermaßen mikroskopierenden, die wenigen Quellen vergrößernden Vorgehensweise, mit der etwas nicht gerade ans Licht, aber doch aus dem Dunkel gezogen wird, auf eine einfühlsam aufblasende Art, die auch vor sogenannten Nebenschauplätzen nicht Halt machen durfte, wenn sie Stand haben und sich nicht in Luft auflösen wollte. Der geringe Umfang des Belegbaren machte eine ins Literarische gehende Arbeit erforderlich - aufblasend wohlgemerkt, was in solchem Zusammenhang das blanke Gegenteil der in diesem Genre inzwischen üblich-schlauen Aufgeblasenheit ist. Dem verdanken wir eine Reihe von Ansichten einer inzwischen vergangenen Welt, der Welt des frühen Kinos, die aus sich selbst heraus zu sprechen verstehen und bloß private Ansichten eines heutigen Kommentators mühelos übersteigen, sie ähneln den Bildbeigaben, die fast anonym entstanden und nun erneut dem Blick eines Betrachters ausgesetzt sind: Ansichten, die uns ohne Zischlers Arbeit nicht zugänglich wären.

 

Heute ist das Kino so komplex in unsere Existenzen hineingewebt, daß kaum mehr möglich erscheint, einen dualistisch begreifbaren Zusammenhang in der Art "Ich und das Kino" zu suchen. Wir haben so viele Filme gesehen - von 18 bis 20 war ich selbst z.B. zwei-dreimal täglich im Kino, in geradezu enzyklopädisch angelegtem Aufnahmebedürfnis, und so etwas war keine Seltenheit - daß unser Erleben, z.B. unser Schönheitsempfinden, von ihnen auf unbegreifbare Art geprägt wird; auch wenn es von den Machern der Filme nicht geplant war oder von uns als Besuchern - es geschah mit uns. Und fällt es uns schon schwer, wie viel schwerer wird es der folgenden Generation fallen, deren mediale Erfahrung, wie viele glauben und noch mehr sagen, die der Wirklichkeit zu überschreiten beginnt. Welche Erleichterung scheint dagegen der Rückblick auf den Beginn des Kinos zu bieten, und so mag man von diesem Buch erwarten, daß eine scharfsichtige Erscheinung vom Range Kafkas in ihm noch eine Art Wahrheit zu entdecken vermochte, die für uns nicht mehr sichtbar ist und von der wir uns vielleicht noch ein Stück abschneiden können. Wenn das die an den Titel angeknüpfte Erwartung ist, werden manche von diesem Buch vermutlich enttäuscht sein.

 

Vor allem wird nämlich durch Kafkas Biografie, wie Zischler vorzüglich herausarbeitet, wieder einmal bestätigt, was so viele vermuten, daß das Kino nämlich bloß etwas für junge oder jung tuende Leute ist. Sobald Kafka zu einer Art Ernsthaftigkeit für sich gefunden hat, in seinem Falle wohl anhand des inneren Konfliktes mit dem Vater, taucht das Kino weder in seinen Aufzeichnungen mehr auf noch in den Briefen, in seiner Prosa, die von Anfang an ernst gemeint ist, tat es das ohnehin nie. Nach der ersten dramatischen und für ihn traumatischen Trennung von seiner Verlobten Felice Bauer und der sich anschließenden Wiederversöhnung stellt das Leben für ihn offenbar keine so heitere Sache mehr dar, daß er Kinobesuche noch ernst nehmen konnte, danach geht es bei ihnen nur noch um allerbanalste Zerstreuung, wobei er allerdings, auch wenn er selbst wenig ins Kino ging, weiterhin immerhin die Wochenprogramme der Kinos genau kannte. Und am Ende in Berlin, wo er schwer lungenkrank und in Armut mit der, wenn das von ihr in den Biografien gedruckte Photo halbwegs Wirklichkeit wiedergibt, beneidenswert hübschen Dora Diamant lebt, ist nicht einmal Chaplins "The Kid" einen Besuch wert. Soviel vielleicht als eine Art Essenz.

 

In einem von Zischler zitierten Brief an Brod aus dem Jahre 1908 ist er vor allem bei drei Sachen noch sicher, daß er sie wegen ihrer Rätselhaftigkeit noch lange mit Brod gemeinsam sich wird ansehen müssen: das Kino, die Welt der Maschinen und, wie er sich dezent ausdrückt, die "Geishas". Von diesen zeigt die Maschinenwelt bekanntlich deutliche Spuren in seinem Werk, ich erinnere an die Schiffskessel im Verschollenen und die Apparaturen der Strafkolonie - die anderen beiden ihn als 25-jährigen noch fesselnden Themenkreise sind für ihn dagegen erstaunlich rasch verschwunden. Das Flackerlicht der Kinoapparate gab der Welt in seinen Augen offenbar bloß einen Kitzel - Kafka hat dessen Beschränktheit indirekt in einem Brief an Felice beschrieben, indem er über die ihn beim Schreiben seiner Erzählung "Das Urteil" packende Erregung schrieb: "Nun zittere ich überall, so wie das Licht die Leinwand in den ersten Tagen der Kinematographie zum Zittern brachte." Der durch das Entstehen des Kinos ausgelöste Kitzel war 1912 für ihn schon vorbei, er hatte für sich die Literatur entdeckt - aber auch in uns hat das Zittern der Leinwand deutlich an Erregung verloren und ist einer skeptischen Einschätzung gewichen, einer die Kafka im übrigen gleichfalls in einer Eintragung zu einem Film mit dem von ihm seit einer Hamlet-Aufführung bewunderten Schauspieler Albert Bassermann sinngemäß vermeldet: alles Talmi, jedenfalls bei genauerem Hingucken. Insofern ist in dem Buch doch Hellgesichtigkeit zu entdecken. In den fünfziger, sechziger Jahren hat das Kino wohl eine Zeitlang noch einmal deutlich gezuckt, aber das bißchen Leben von da ist ihm schnell wieder vergangen. Nun scheint es sogar untergehen zu wollen, und zwar, und das ist daran das eigentlich Erstaunliche, ohne auch nur annähernd gezeigt zu haben, was es eigentlich kann. Das goldene Licht des Kinos, welches man noch letzte Woche im Feuilleton der ZEIT feiern hören konnte (im Gegensatz natürlich zum fahlen Licht der Kunst) hat aufgehört, zu strahlen, hat nie wirklich gestrahlt. Im sogenannten Glanz des Kinos feiert man nichts als die schlechte Qualität des eigenen Blicks.

Und trotzdem - warum nicht. Schließlich ist das Kino zumindest für den Jugendlichen nicht nur Talmi, nicht nur Täuschung: das Kino bietet selbst bei Getäuschtheit ein Tor zur Welt, das sich sonst nicht öffnen würde. Fremde Länder, fremde Sitten gehören zu den elementarsten Attraktionen des Kinos, gerade Kafkas Amerika-Roman zehrt von frühen Kinobesuchen. Und das Kino, erinnern wir uns, bietet obendrein Einblicke in die Welt fremder Absichten und Leidenschaften, von denen man in Filmen in kurzer Zeit so viel erfahren kann, daß wir danach auf einiges im Leben vorbereitet sind. Erst die Enttäuschung darüber, daß sich später so wenig davon im eignen Leben wiederfindet und tatsächlich ereignet und gleichzeitig so viel mehr, auf das man nicht im geringsten eingestimmt ist, läßt einen wohl irgendwann Abschied vom Kino nehmen. Doch es gibt noch etwas, und das ist vielleicht das wichtigste, was sich einem ohne das Kino nur schwer erschlossen hätte, unter viel größeren Qualen, denke ich, es ist die Landschaft fremder Körper, die Welt der Gesichtsausdrücke, die hochkomplexe Landschaft weiblicher und männlicher Körper, die ungeniert und offen zu betrachten für die meisten von uns nur das Kino Gelegenheit bot - sogar im gelegentlich aufgesuchten Bordell, das diese Funktion früher zu erfüllen hatte, war die visuelle Begegnung mit dem weiblichen Körper auf paradoxe Weise flüchtiger. Zischler ist zu danken, daß er die hinter seinem Titel schlummernde explosive Wendung: "Kafka geht ins Bordell" nicht mit den üblichen Nebensätzen übergeht - in einer bemerkenswerten Passage spürt Zischler den dokumentierten Interaktionen Kafkas mit dem Bordellmilieu nach, was von einem dort spielenden Film "Die weiße Sklavin" bis zu einem tatsächlichen Bordellbesuch in Paris führt, bis zur Auswahl der Damen, die bei der Darstellung aus Kafkas Tagebuch wie aus einem rasenden Auto heraus erfolgt, mit entsetzlicher Hast, ganz ungleich der Sicht, die man im Kino praktizieren kann - eine der erschütterndsten Stellen bei der Lektüre, wo man spürt, wie kläglich Kafka sich an Beschreibung und Sprache zu klammern versucht, wo es ums Ganze, ums ganze Leben geht - man ahnt, daß Kafkas den Futurismus streifende Faszination an Bewegung der negative Abdruck jener Fluchtbewegung bei diesem Bordellbesuch gewesen sein könnte. Dies streift das Zittern der Blätter im Wind, das Film-Kultur-Spezialisten so gern hervorkehren, wenn sie das Kino feiern wollen, unter ihnen, wie Zischler herausarbeitet, der frühe Kafka, den als Schriftsteller die Darstellung von Bewegung immens interessierten. Seine Reisenotizen ähneln den fünfzig Jahre später gedrehten Tagebuchfilmen von Jonas Mekas, rasch einander folgende Brocken Wirklichkeit, an die sich Erinnerung klammern soll, vermehrt freilich um etwas, was man mit dem Kameraobjektiv nur selten versteht, die zugespitzt subjektive Verfälschung des Wahrgenommenen, die sogenannte Interpretation. Von jenem berühmten Ursprungs-Zittern ist immerhin noch die Faszination am Zittern der Körper in der Pornographie geblieben.

Nun, das Bordell der Provinz bot einem damals, wie Brod schrieb, nur überwiegend jämmerliche Anblicke - kein Wunder, daß er und Kafka in Mailand und Paris wie selbstverständlich ein dortiges besuchen, zumindest besichtigen wollten - heute, wo Derartiges weniger selbstverständlich ist, haben wir für bloßes Besichtigen international vertriebene Hochglanzzeitschriften, in denen uns wahre und würdige Nachfolgerinnen antiker Aphroditen, wahrer und würdiger jedenfalls als die nur gold glänzenden Kino-Göttinnen, um geringes Entgelt bereitwillig ihre Schöße öffnen - angesichts eines solchen hätte sich Kafkas Beschreibung von Weiblichkeit auf die von ihm gewöhnlich praktizierte Art kaprizieren können, bei welcher er, wie Zischler geduldig vorführt, die Photographie als dem Film für ohnehin überlegen hielt, weil sie dem ruhigen Betrachten mehr Grund gibt, und der Verwandlung von Welt in Sprache weniger Widerstand entgegensetzt.

 

Solange das Kino für Kafka noch eine Rolle spielt, solange er also mit sich selbst und seiner Wahrnehmungsfähigkeit noch mehr spielt als ringt und sich zu erkunden sucht - deshalb hat auch das Kino für ihn da noch Interesse - hat Zischlers Darstellung etwas Leichtes, etwas Jugendliches. In der von ihm aufgetanen Motivkette, in welcher sich die bloße Ansicht der veronesischen Kirche St.Anastasia in einem Kaiserpanorama über diverse Kinobesuche bei dem Trennungsversuch von Felice Bauer in einen tatsächlichen Besuch dieser Kirche verwandelt, direkt nach wiederum einem Kinobesuch, zu dem er sein Weinen notiert und Zischler uns raten läßt, welchen von drei an diesem Tag in Verona vorgeführten Filmen Kafka da gesehen haben mochte, entdeckt man, bei aller Erschütterung, die Leichtigkeit der Motivketten aus den "Wasserfällen von Sluni", Doderers letztem Roman - wie bei Doderer begegnen uns auch bei Zischler angenehme Saloppismen, die der Wehleidigkeit, mit der Kafka gewöhnlich und ich meine zu Unrecht dargestellt wird, wohltuend wiedersprechen: "Kafka ist in Fahrt", heißt es einmal, oder: "Felice Bauer ist weniger in sein alltägliches Leben als in eine maßlose Korrespondenz mit ihm eingetreten" - das Wort "Arme Sau", das sich bei Kafka gewöhnlich so leicht einstellt, will bei Zischler zur Abwechselung einmal nicht so recht ans Licht. Solche der üblich-menschlichen Komöde entlehnte Leichtigkeit geht freilich verloren, als Kafka zu sich gefunden hat. Da wird seine Welt von innen heraus schwer und vaterlastig, so zäh, daß die Quecksilbrigkeit der Motive, in denen wir Gewöhnlichen, nur mittelmäßig Leidensfähigen unsere Leben verquickt sehen, ihre Beweglichkeit verlieren, sie wird, wie es heute so schön heißt, kafkaesk. In einer solchen Welt hat das Kino keinen Platz mehr, nicht einmal als brutalste Zerstreuung, höchstens die Pornografie hätte es, aber das Sexuelle hat in einer Kafkaesken Welt aus irgendeinem Grund keinen Ort, es wurde offenbar im Bordell zurückgelassen, als es sich nicht in Sprache verwandeln ließ, oder, trivialer vielleicht noch, bei der berühmt namenlosen "Schweizerin" im Sanatorium zu Riva, mit der er seinem Tagebuch zufolge eine Woche nach dem weinerlich-wehmütigen Kinobesuch von den Freuden der Liebe kostete, bevor er reumütig zu seinen Heiratsbemühungen um Felice zurückkehrt. Ein wenig simplere Ehrlichkeit im Umgang mit seiner Körperlichkeit hätte wohl sogar einem so von Aufrichtigkeit Besessenen wie Kafka gut angestanden. So gelangte er in seiner Kunst gerade mal bis zur "Kleinen Frau", wie eine seiner letzten Erzählungen heißt, zur streitsüchtigen Gefährtin, nie zur großen Mutter, die er kampflos dem Vätrigen überläßt, dem vom Vater Repräsentierten, dessen, wie es im für ihn programmatischen "Urteil" heißt, "schwerer Schlafrock sich im Gehen öffnet," und von dem der Held der Geschichte denkt: "Mein Vater ist noch immer ein Riese", obschon er seine äußere Macht schon längst an den Sohn abgegeben hat. Nun, das Leben ist, wie es uns ein antiker Autor wissen läßt, eine ernste Sache, und über das Leben anderer zu urteilen, zumal über größere, eine rechte Vermessenheit.

Kann man sich dennoch als Filmmacher von ihm inspirieren lassen? Am erfolgreichsten unter den Verfilmern waren wohl die Straubs - in ihrer "Klassenverhältnisse" genannten Version des Amerika-Romans räumen sie dem Geschehen eine halbwegs realistische Oberfläche ein und belassen dem Text seine Künstlichkeit, so entstand eine Art Komödie, deren verstiegene Ernsthaftigkeit im Sinne Kafkas sein könnte. Aber die Vorlage war noch junger Kafka, kinogehender Kafka, da funktionierte das irgendwie. Orson Welles "Prozeß" dagegen schreckt schon ab, gerade weil er ganz akzeptabel, sogar spannend ist und im konventionellen Sinne beeindruckt. Na, wir müssen wohl noch auf Schlöndorff warten, bevor wir ein endgültiges Urteil fällen dürfen - die Produktionsgewalt freilich, die jemand ausüben muß, der einen Film macht, widerspricht der von Kafka ausgeübten Schriftstellerpraxis. Die Möglichkeit, Kunst zu produzieren, gehört zwar zu den Luxusgütern - vielleicht ist sie sogar der größte Luxus, den unsere Gesellschaften zu bieten verstehen, deshalb kann man auch nicht erwarten, dafür bezahlt zu werden, in der Regel muß man dafür bezahlen, oft mit dem Leben - aber dennoch kann man diese Fähigkeit für sich nicht kaufen. Die Verknüpfung von Demut und selbstgewisser Arroganz, welche Kafkas Schreiben innewohnt, verbietet sich im Filmgeschäft. Dort kann man von ihm nichts lernen. "Wilde Erdbeeren" schien einmal in ähnliche Richtung zu weisen, ohne daß jemand das darin liegende Versprechen hat einlösen können, Bergman nicht und Woody Allen schon gar nicht, dessen warm daherkommendes Interesse für die kleinen Macken der Menschen mit der kafkaschen Schärfe unvereinbar ist. Nur eine still besessene Sicht kann so etwas liefern, aus einer geschützt sich aufladenden Privatheit heraus, die im Film wenn nicht unmöglich, so doch sehr selten ist. Dort regiert das laute Geschwätz, selbst die Woody Allens sind dort eine schützenswerte Spezies.

 

Und die möglichen Kafkas von heute, junge Schriftsteller, können umgekehrt sie etwas vom Film lernen? Nicht mehr als Kafka, fürchte ich, nur auf die alleroberflächlichste Weise, wie man auch von einem Warenhaus profitiert, durch das man schlendert, ohne kaufen zu wollen. Manche Schriftsteller lassen sich dennoch von der Filmform inspirieren, ich mag es gar nicht glauben, außer vielleicht bei Godard, dessen Filme immerhin den Inhalt vorzüglich sortierter Spezialwarenhäuser darbieten. Ernsthaft hat es nur Dos Passos versucht, er peilte in der Tat die filmische Oberfläche an und endete in realistischem Kitsch. Burroughs dagegen benutzt filmische Ausdrücke nur als Travestie: Zoom in den Weltraum, Kamerafahrt durch 6 Planetenbahnen, das mag ja angehen. Wer das filmische Erzählen auch für den Roman fordert, ist eine Lächerlichkeit, das sogenannte filmische Erzählen ist zu trivial, zu sehr im euklidischen Raum verfangen, um für die Literatur anregend zu sein - das gilt meiner Ansicht auch für Pynchon, wenn er die Filmwelt streift. Kann Film heute, außer selbstverständlich für Jugendliche, überhaupt noch anregend sein? Vermutlich nur da, wo er pornografisch ist. Vermutlich wird aber auch das Bordell eine seltsame Renaissance erleben müssen, man kann Bilder schließlich nicht berühren. Es hat lange gedauert, bis man das begriffen hat: man kann durch sie hindurchgehen, richtig durch sie hindurch, eine Traumwelt, eine Lichtwelt - Elfen könnten dort spielen, aber es halten sich vor allem Räuberpistolen darin auf. Die Elfen dort kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Es sind immer dieselben.

 

Die Welt ist selbstverständlich nicht kafkaesk, nur eine Weltsicht ist es, kann es sein, die eben, welche mit dem Namen Kafka verknüpft wird. Film quält sich, eine solche Sichtweise zu vermitteln - die sozusagen objektive Oberfläche, die durch das Filmobjektiv abgebildet wird, ist euklidisch und sträubt sich. Wird man als Kameramann nicht extrem eigenwillig, verraten die Bilder nur etwas von der Monotonie des Universums, dessen fundamentalstes Gesetz darin zu bestehen scheint, daß sich zwei Teilchen nicht am selben Platz aufhalten können - auch darum, aus innerem Groll gewissermaßen, dehnt es sich, denke ich, aus. Die aus dieser in der Physik Fermiprinzip genannten Gesetzmäßigkeit entstehenden Konflikte sind das Spielmaterial des Kinos, speziell der Serien - ihr Thema: hier ist kein Platz für jemand anderen, jemand Neuen wie dich. Der Materie und den Gesellschaften wohnt nichts kafkaeskes inne, sie schleppen sich mit mühseliger Monotonie durch die Jahre, Jahrzehnte und wenn es drauf ankommt durch die Jahrmilliarden, von kaum etwas anderem geprägt als einem immer wieder verblüffenden Selbstbehauptungswillen - der ist es, welcher die fast göttliche Monotonie verursacht, der wir allerorten begegnen, und die nur durch den Geist in den Spannungszustand verwandelt werden kann, den man menschenwürdig nennt. Es ist die Monotonie der Dummheit, die fortwährend angewandter Über-Schlauheit entspringt, und vielleicht liegt in der entsetzlichen Gravitationskraft dieser speziellen Form von Dummheit der Grund, warum sich alles in Monotonie verwandeln möchte. Für Lichtteilchen gilt diese das Schicksal der Materie bestimmende Form der Monotonie dagegen nicht, von ihnen können sich unendlich viele auf einer Stelle drängen und die Glorie Gottes verkünden. Entsetzlich langweilig freilich so eine Welt, nicht nur vom filmischen Standpunkt. Der Sozialismus träumte von solchen Lichtwelten, in denen das Fermiprinzip nur für Fremde, für Eindringlinge gilt. Nun - die Welt, in der wir leben, ist anders beschaffen, da kann man nichts machen, doch das ist noch lange nicht kafkaesk: die Kafkasche Pose scheint eine solche Lichtwelt für selbstverständlich zu halten, wenn man seine Pflicht tut. Und seine Pflicht tun heißt: vorhanden bleiben, eigentlich nicht viel mehr als: nicht Selbstmord begehen. Das Erstaunen, daß die Ämter, daß der Vater, der verallgemeinerte Vater, einem den Platz am Licht zu erlangen nicht erleichtern, ja sogar verwehren will, gehört zur Kafkaschen Ein-Sicht. Dahinter steckt ein Erlösungsgedanke, der bloßes Vorhandensein schon belohnt. Kafkas Helden strengen sich, anders als Kafka selbst, nicht wirklich an. Sein eigenes Schicksal ist eigentlich nicht kafkaesk, es ist das allergewöhnlichste Schicksal des Mannes, der seine Berühmtheit knapp nicht erlebt hat, auch Derartiges gehört zur Grundsubstanz des Universums. Ganz gewiß war Kafka jedenfalls nicht das - man hört es ja oft - was man einen Gescheiterten nennen kann, jemand mit einem verfehlten Leben. Angesichts seiner Tuberkulose hätte er im Gegenteil kaum ein vernünftigeres, luxuriöseres Leben, zumal mit der splendiden Dora Diamant, finden können, als das, was er sich bereitet hat. Bei einer solchen Krankheit zudem noch in Schlauheit zu ersticken wäre, scheint mir, ein schlimmeres Los. Nein er war keine arme Sau, doch wir - die im Gegensatz zu ihm glücklich Verheirateten und, entschuldigen Sie den leichten Sarkasmus, zudem noch erfolgreich künstlerisch Tätigen (und ich hoffe, daß Sie in Ihrer Mehrheit denen zugehören) - haben gut lachen. Viel Spaß also mit Hanns Zischler.


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